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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Strauß überreichte. Es war früher Abend, und das Lokal war sehr voll. Hildred hatte ihn sofort gesehen; sie eilte auf ihn zu, nahm seine Hand und drückte sie. Dann zog sie ihn hinaus. Sie standen in dem kleinen Hinterhof, der von einem eisernen Zaun umgeben war.
    Er hatte zwei Karten für »Panzerkreuzer Potemkin«. Sie wollte sich bemühen, frei zu bekommen, um den Abend mit ihm verbringen zu können, wie er es sich gewünscht hatte. Auf ihre Bitte ging er ein paarmal um den Block. Als sie wieder herauskam, machte sie ein betrübtes Gesicht. »Ich kann nicht weg«, sagte sie. »Heute abend ist zu wenig Personal da.«
    »Kannst du denn nicht plötzlich krank werden?«
    Nein. Diesen Trick kannten sie schon.
    Niedergeschlagen ging er davon. An der Ecke drehte er sich um. Sie winkte ihm zu. Sie schien ehrlich enttäuscht, und doch lächelte sie.
    Er stand vor dem Kino und betrachtete die Menschen, die hineinströmten. Sie sahen aus, als gingen sie zu einem Zionistenkongreß. Niemand schien allein zu sein. Er sah ein junges, schäbig gekleidetes Paar, das auf das Kassenhäuschen zueilte. Er trat zu ihnen und bot ihnen seine Karten an.
    Während sie noch ihren Dank murmelten, drehte er sich um und ließ sie stehen. Die Menge verschluckte ihn und zog ihn in einem aberwitzigen Tempo davon. Die Leute eilten dahin wie eine Armee von Ameisen, die durch einen Riß im Bürgersteig quillt. Während er sich dem Strom überantwortete und sich willenlos, ruderlos, wie ein Strohhalm in einem Strudel, hierhin und dorthin schieben ließ, beschloß er plötzlich, zurück zum »Caravan« zu gehen – aus keinem bestimmten Grund, nur aus einem blinden Impuls heraus.
    Er stützte sich auf das Geländer und sah durch das Fenster hinein. Die Bedienungen schoben sich zwischen den Tischen hindurch, balancierten dabei riesige Tabletts und blieben hier und da stehen, um ein paar Worte mit irgendeinem jungen Burschen zu wechseln, der wußte, wie man seinen Arm um die Taille eines Mädchens legt oder es in den Hintern kneift. Doch von Hildred war nichts zu sehen. Er ging hinein und fragte nach ihr. Man sagte ihm, sie sei gegangen.
    Wie sich herausstellte, war es einer von diesen eigenartigen Zufällen gewesen. Hildred sah »Panzerkreuzer Potemkin«
    doch noch. Und zwar an eben diesem Abend. Der Spanier war
    – im letzten Moment – gekommen, genau wie eines der
    Mädchen, das sich zuvor krank gemeldet hatte. Und, so
    seltsam das auch erscheinen mochte, auch er hatte Karten für
    »Panzerkreuzer Potemkin«. Das war ungewöhnlich. Äußerst ungewöhnlich. Aber so etwas gab es eben im Leben. Und
    natürlich wäre es dumm gewesen, die Einladung
    auszuschlagen. Außerdem hatte sie ja gehofft, ihn im Publikum zu entdecken.
    Doch als er ihr gestand, er sei nicht hingegangen, war sie verwundert. »Du bist nicht hingegangen?« wiederholte sie.
    Das konnte sie nicht verstehen. »Ach, es war ein so
    wunderbarer Film! Herrlich! Wie die Kosaken die Treppe zum Kai hinuntergerannt sind, wie sie dann stehengeblieben sind, wie Automaten, und in die Menge gefeuert haben. Und wie die Leute zurückgewichen sind!« Es folgte eine äußerst plastische Beschreibung, wie ein Kinderwagen die lange, weiße Treppe hinuntergerollt war, wie die Frauen und Kinder zu Boden gefallen und niedergetrampelt worden waren. Es war großartig.
    Was für herrliche Ungeheuer diese Kosaken waren!
    Sie hielt unvermittelt inne, steckte sich eine Zigarette an, setzte sich auf den Tisch und ließ die Beine baumeln.
    »Weißt du, was ein echtes Pogrom ist?« fragte sie plötzlich.
    Er wußte, daß die Antwort auf diese Frage nein lauten mußte.
    Er sagte nein.
    Das hatte sie sich gedacht. Er sollte sich mal Vanya anhören.
    Vanya hatte mehr als ein Pogrom erlebt…
    »Wo?« wollte er wissen.
    In Rußland natürlich. Wo denn sonst?
    »Dann ist sie also Russin?«
    Er erfuhr, daß sie nicht nur Russin war, sondern auch eine Prinzessin, eine Romanow, ein illegitimer Sproß. Ach, so war das also! Nicht nur ein Genie, sondern auch noch eine
    Prinzessin. Er mußte an einen anderen Abkömmling der
    Familie Romanow denken, der ihm einmal einen ungedeckten Scheck über drei Dollar angedreht hatte. Auch ein Genie, auf seine Art, und ein Scheißkerl obendrein. Er wiegte den Kopf wie ein Jude, der gerade von einer neuen Katastrophe erfahren hat. Kein Wunder, daß er ihnen nicht romantisch genug war: Er war weder ein Genie, noch war er ein Romanow oder ein Scheißkerl.
    Die Szene endete im Bett. Es war

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