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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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wunderbar, wie Hildred ihre Liebe fließen lassen konnte. Der Mann, der an einer solchen Liebe zweifeln konnte, mußte ein Idiot sein. Sie schenkte sich mit Körper und Seele. Eine vollkommene
    Hingabe. Nicht wie diese Halb-Frauen aus dem Village, mit denen sich Willie Hyslop umgab, sondern wie eine wirkliche Frau: alle Organe intakt, alle Sinne entfesselt, das Herz in Flammen, Leidenschaft lodernd wie ein Feuer aus trockenem Holz, ein regelrechtes Liebes-Pogrom.
    Auf dem Höhepunkt mußte Vanya zurückkehren.
    »Ah, ihr seid da« rief sie. Sie konnte sie im Dunkeln riechen, wie ein Hund. Kaum hatte Hildred sie gehört, da sprang sie auch schon aus dem Bett. Die Prinzessin war gekommen. Zeit, ein anderes Lied zu singen.
    Tony Bring schlüpfte zur Hintertür hinaus in den Anbau. Das schmutzige Geschirr lag im Spülbecken. Er ging ziellos umher und warf hin und wieder einen Blick durchs Fenster, um zu sehen, ob sie seine Abwesenheit überhaupt bemerkten. Nein, sie schienen gar nichts zu bemerken. Hildred cremte ihr Gesicht ein, während die Prinzessin ihr etwas vorsang. Sie sangen auf englisch, auf deutsch, auf französisch, auf russisch.
    Vanya ging in ihr Zimmer und kehrte mit ihrem Barrymore-Make-up zurück. Sie stolzierte und machte theatralische Gesten. Hildred saß da wie eine Kaiserin der Gefühle und applaudierte huldvoll.
    Das Dach des Anbaus wurde von drei eisernen Stützen
    getragen. Tony Bring rannte um diese Stützen herum wie ein aufgeregtes Kaninchen. Jedesmal, wenn er am Fenster
    vorbeikam, warf er einen Blick hinein. Sie sangen noch immer, sie trällerten wie zwei betrunkene Huren. »Komm her, mein süßer Liebling, ich liebe dich so-o-o…« Immer und immer wieder. George Washington hätte das sehen sollen – und Abraham Lincoln und Jean Cocteau und Puvis de Chavannes und Moholy-Nagy und Tristan Tzara… Er war da, und er war nicht da. Er war wie ein Geist bei einem Bankett, wie ein Held ohne Orden, wie ein ungeladener Gast bei einer Totenwache, wie ein Seiltänzer ohne Balancestab oder Regenschirm. Er war ein entsprungener Verrückter, der einen Chronometer in seinen Socken versteckt hatte. Er war ein geputztes Fenster, aber sie konnten ihn nicht sehen. Wenn sie ihn schon nicht sehen konnten, so konnten sie ihn doch wohl wie einen
    Wahnsinnigen wüten hören, oder? Waren sie etwa auch noch taub? Ja, sie waren taub. Sie betäubten ihre Ohren mit Gesang und Gelächter. Für sie gab es auf der Welt nur sie beide. Ihr Gesang erfüllte die Welt, erfüllte den gestirnten Weltraum, ließ die Sterne und Planeten summen, ließ den Himmel singen und machte den Mond betrunken.
    »Ihr verdammten Teufelinnen!« stöhnte er. »Wenn ich nur wüßte, wie ich euch beikommen könnte! Wenn ich euch doch nur drankriegen könnte!«
    In dieser Nacht wird – das ist so sicher wie die Hölle – ein Gedicht entstehen, ein Gedicht über die Schleier der Nacht, über die Stunden, die mit ihren sandigen Armen den Raum zerhacken und zermahlen. O Erde! du bist ein atmendes Grab, eine Kammer, in der diese lebenden Toten mit ihren weit herausgerissenen Gedärmen, mit ihren flehend gen Himmel gereckten Händen gefoltert werden. Sie werden durch die Verse stolpern und taumeln, und der Raum wird von ihrem Ächzen und Schreien widerhallen. Der Stift wird tanzen, während ihre Musik im Abfluß gurgelt und Spinnen über ihre schwarzen Strümpfe kriechen… Nimm die Kadaver, die in
    meinem Hirn wachsen, von mir! Gib mir meine Seele und
    meine Augenhöhlen zurück!

    2

    Das »Caravan« hatte eine neue Bedienung: ein Mitglied der Familie Romanow! Lieber Himmel, wenn die Leute nur geahnt hätten, daß sie von einer Prinzessin bedient wurden! Wie sie die Suppe auftrug! Wie sie das Tablett balancierte!
    Prinzessinnen haben etwas Enttäuschendes an sich, doch diese hier…! Keine reinblütige Prinzessin natürlich. Irgendwo hatte es einen kleinen Fehltritt gegeben. Jemand hatte sein Pferd am falschen Pfosten angebunden – während eines
    Pogroms oder eines Schneesturms.
    Hildred fühlte sich wie ein neuer Mensch. Sie weckte Vanya zärtlicher. Eine Prinzessin war ja ein empfindsames Wesen.
    Jeden Tag verließen die beiden Arm in Arm das Haus. Sie kehrten zurück, wann es ihnen paßte.
    Wenn sie weg sind, zieht Tony Bring sich in die Zelle zurück, die nun, da die Prinzessin gegangen ist, frei ist. Er begutachtet, was ihr Alter ego in der Nacht geschaffen hat, denn zwischen zwei und sechs Uhr morgens wirkt im Allerheiligsten nicht eine

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