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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Romanow, sondern eine Madame Villon, und diese
    schreibt ein kindliches Gekritzel, als wäre sie hypnotisiert worden. Da sie keine Tafel besitzt, schreibt sie auf
    Streichholzschachteln, Speisekarten und Löschblättern; manchmal gibt sie sich nur mit Klopapier zufrieden. Wenn sie ihre Gedichte geschrieben hat, wirft sie sie auf den Boden.
    Geht in den Morgen hinaus wie ein Hund, der seinen
    Kothaufen zurückläßt.
    Heute morgen findet Tony Bring eine Hymne an Ammonia,
    frisch aus dem Ofen. »Deine Haltung war die einer gefallenen Königin… deine Augen, drei Augen, Geist von Ammonia.«
    Das stand auf der Rückseite einer Speisekarte eines Lokals in der Lenox Avenue. »Wiegendes Kreideweiß Arme von Leben geschwärzt fuhren vor meinen Augen vorbei… Ich sah dich an, Hildred, im flirrenden grünen Licht, und ich fragte mich… Du warst betrunken gestern nacht, Hildred.«
    Gestern nacht! Das war die Nacht gewesen, in der Vanya bei ihrer Rückkehr über den abgeschlagenen Kopf des Spaniers schwadroniert hatte, der in einem Meer aus Nabeln schwamm
    – glänzenden, braunen, mit Lippenstift verschmierten Nabeln.
    Das war die Nacht gewesen, in der sie das Geld für die Miete hatten auftreiben wollen, und es hatte wieder Veilchen gegeben, und der Spanier hatte gewitzelt: »Eines Tages lege ich sie flach!« Er las weiter: »Schwere Goldketten klirrten in meinem Kopf, die Musik dröhnte in einer tröpfelnden Flut über mein Ginger Ale. Der Boden wankt, das Eiswasser läßt meine Knöchel frieren.«
    Am frühen Abend stürzte er ins »Caravan«. Die Art, wie er dort umsorgt wurde, war ihm peinlich. Sie bestanden darauf, ihn gemeinsam zu bedienen. Wie ehrerbietig sie ihn
    behandelten! Man hätte meinen können, er sei ein berühmter Mann, der einzig und allein darum beschlossen hatte, in diesem bescheidenen Lokal zu speisen, weil er diese beiden demütigen Wesen ein wenig an der Aura seiner erlauchten Person teilhaben lassen wollte. Sie inszenierten sogar eine kleine Auseinandersetzung und taten, als wären sie eifersüchtig aufeinander, weil er seine Gunst ungleich verteilte.
    Er zögerte den Augenblick seines Aufbruchs absichtlich hinaus. Hildred zeigte bereits Anzeichen von Ungeduld, allerdings mit bewundernswerter und ungewohnter
    Zurückhaltung. Es war offensichtlich, daß sie Pläne für den Abend hatte. Die beiden warteten.
    Er ließ sich Zeit mit dem Nachtisch, bestellte noch einen Kaffee, blätterte in seinem Notizbuch, schrieb ein paar bedeutungslose Sätze nieder. Hildred war kurz vor einem Wutausbruch. Sie setzte sich neben ihn und bat ihn, endlich zu gehen. Vanya stand hinter ihr und hörte jedes Wort, doch irgendwie gelang es ihr, einen verträumten, verzückten Gesichtsausdruck zu bewahren, als wäre das alles für sie vollkommen nebensächlich.
    »Findest du es nicht auch albern«, sagte Hildred, »daß du herkommst und mir nachspionierst? Meinst du, daß du
    irgendwas herausfindest, wenn du hier herumsitzt?«
    »Ich bin nicht gekommen, um dir nachzuspionieren«, sagte er, »sondern um dich auszuführen.«
    Hildred runzelte die Stirn und warf Vanya einen Blick zu, der zu sagen schien: »Um Himmels willen, hilf mir hier raus!«
    Doch zu ihrer beider Verwunderung sagte Vanya, ohne zu zögern: »Er hat recht, Hildred… Ich finde, du bist verpflichtet, heute abend mit ihm auszugehen.«
    »Aber wir haben eine Verabredung…«
    »Ach, darum kümmere ich mich schon«, sagte Vanya. »Mach dir keine Sorgen.«
    »Kannst du nicht mitkommen?« fragte Hildred und machte ein schmollendes Gesicht.
    Nein, das konnte Vanya nicht. Sie blieb unbeugsam.
    Außerdem wollte sie auf keinen Fall ihr Vergnügen stören. Das klang so aufrichtig, daß Tony Bring ihr regelrecht dankbar war. Inzwischen war sein Unmut über Hildred so groß
    geworden, daß es ihm nur unter Aufbringung aller Willenskraft gelang, auf seinem Vorhaben zu bestehen. Er fragte sich, welche Ausreden sie als nächstes vorbringen würde.
    Gleichzeitig wuchs seine Entschlossenheit, seinen Willen durchzusetzen.
    Schließlich, nachdem sie sich eine Zigarette angesteckt hatte, gab Hildred nach. An der Tür nahm sie Vanya beiseite. Die beiden führten im Flüsterton ein langes, erregtes Gespräch, an dessen Ende Vanya strahlte.
    Allein die Art, wie sie die Zigarette hielt, wie sie schweigend, rachsüchtig daran zog, ärgerte ihn. Er verspürte das wilde Verlangen, sie ihr aus dem Mund zu nehmen und in die Gosse zu werfen. Im nächsten Augenblick aber suchte er

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