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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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oder
    stehenlassen konnten. Wenn er ihnen im Weg stand, rempelten sie ihn an und setzten ihn in Bewegung wie ein Pendel. Wie ein Pendel! Etwas, das ihr Kommen und Gehen bemaß. Mit jedem Tag wurde die Situation absurder. Besonders, wenn Hildred da war. Wenn sie etwas zu ihm sagte, begann sie mitten im Satz. Wenn er ein Buch zur Hand nahm, bat sie ihn, den Wecker zu stellen. Sie wollte, daß sie sich mit ihr stritten, sie wollte schwärmen, sie wollte sich begeistern. Sie wollte nicht grübeln, sondern glänzen. Worte, Worte, Worte… Sie verschlang sie, spuckte sie wieder aus, faßte sie zusammen, jonglierte mit ihnen, hätschelte sie, brachte sie ins Bett und steckte sie wie schmutzige Pyjamas unter das Kopfkissen, schlief auf ihnen, schnarchte auf ihnen. Worte… Wenn alle anderen Erinnerungen an sie ihn verlassen haben würden, würde immer noch eines bleiben: IHRE WORTE.
    Wie eine Uhr, die zu schnell läuft, erinnerte er sie schon weit im voraus daran, daß es Zeit war, ins Bett zu gehen. Gegen fünf Uhr morgens, wenn die ersten Lastwagen vorbeifuhren und das vertraute Hufgetrappel des Pferdes erklang, das den Milchwagen zog, machten sie sich schließlich daran, schlafen zu gehen. Und dann, wenn er neben Hildred lag und sie gerade einschliefen, begann Vanya im Gang auf und ab zu gehen und murmelte dabei vor sich hin. Manchmal klopfte sie an ihre Tür und holte Hildred aus dem Bett, um mit ihr ein geflüstertes Gespräch im Frauengemach zu führen.
    Und worüber redeten sie dort? Es war immer dasselbe
    Theater: Vanya hatte morbide Phantasien, Vanya hatte
    schlimme Nachrichten von zu Hause erhalten, Vanya hatte wieder an die Irrenanstalt gedacht. Manchmal war es bloß ein Anfall von Depression, ausgelöst dadurch, daß eines ihrer Bilder sich schlecht anließ.
    »Sag mal«, flüsterte er eines Nachts, als sie im Bett lagen und einander liebkosten, »kann ich dich nicht mal einen Abend für mich allein haben?«
    »Aber jetzt hast du mich doch für dich allein«, sagte Hildred und kuschelte sich zärtlich an ihn.
    Auf seinen Vorschlag, sie könnten am nächsten Abend
    zusammen ausgehen, erwiderte Hildred sofort, das komme überhaupt nicht in Frage. Außerdem könne sie es sich nicht leisten, einen Abend frei zu nehmen.
    »Aber wenn du fertig bist…«
    »Mal sehen«, sagte Hildred. »Aber auf jeden Fall nicht morgen. Morgen habe ich eine Verabredung.«
    Diese Verabredungen bedeuteten Geld. Somit gab es nichts, was er dagegen hätte einwenden können.
    Seltsamerweise erwies sich diese Verabredung als nicht wichtig genug, um sie einzuhalten. Etwas anderes, etwas Wichtigeres, war dazwischengekommen. Ganz unvermittelt, ganz unerwartet natürlich. Einer ihrer alten Kunden war am frühen Abend erschienen und hatte ihr Kinokarten angeboten, die sonst verfallen wären.
    Es war auch bemerkenswert, daß jeder daran dachte, ihr Veilchen mitzubringen. Im passenden Augenblick schnitt er dieses Thema an. Doch er täuschte sich wieder mal – wie üblich. Der Mann hatte ihr keine Veilchen mitgebracht – er war nicht mal mit ihr ins Kino gegangen. Vanya hatte sie begleitet.
    »Aber wer hat dir dann die Veilchen geschenkt?«
    »Jemand anderes.«
    »Natürlich, aber wer?«
    »Wer? Na, der Spanier.« Sie sagte das, als wüßte er alles über den Spanier, während er in Wirklichkeit noch nie von ihm gehört hatte. Doch auch in diesem Punkt täuschte er sich –
    schließlich hörte er ihr ja meistens nicht richtig zu.
    Die Veilchengeschichte klang fast plausibel. Es gab eine Menge Idioten, die ins »Caravan« kamen, um ihr Blumen zu schenken. Eines Tages aber, nach einem ungewöhnlich
    heftigen Streit über dieses Thema (zu seinen schlechten Angewohnheiten gehörte es, alte Wunden aufzureißen),
    beschloß er, ein kleines Schwätzchen mit dem Blumenhändler zu halten, der seinen Laden gleich um die Ecke vom
    »Caravan« hatte.
    Es war ein Grieche. Tony Bring betrat den Laden und fragte ganz beiläufig nach den Veilchen, die die beiden jungen Frauen immer bestellten. Der Mann zuckte die Schultern. Was für zwei junge Frauen? Es gab viele junge Frauen, die
    Veilchen kauften.
    Tony Bring beschrieb sie – langes Haar, kurze Röcke,
    grünlich geschminkte Gesichter.
    »Ach, die beiden! Natürlich… hier sind die Blumen.«
    Ein paar Stunden später kehrte er zu dem Laden zurück und kaufte einen Strauß. Er kam sich idiotisch vor, mit einem Blumenstrauß herumzulaufen. Noch idiotischer kam er sich vor, als er das »Caravan« betrat und den

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