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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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der Kunstakademie etwas
    schiefgegangen, oder vielleicht hatte Vanya wieder einmal die Schlampe gespielt… Gewiß, es war idiotisch, mit einem
    Stoffetzen vor der Brust auf einem Hocker zu sitzen oder träumend auf einem Bein zu stehen. Wer konnte ihnen einen Vorwurf machen, wenn sie sich zwischendurch mit ein
    bißchen Gin stärkten? Die Nachtigall von Lesbos war es zuweilen müde, Marmor zu imitieren und zu Träumen zu
    inspirieren, und gab sich dann einer Hysterie hin. Es war die Hysterie einer Statue. Doch wenn ein gütiger Mensch ihr ein paar Schneeflöckchen gegeben hatte, wurde sie wieder
    gefügig, verwandelte sich in Marmor und verlor nie das Gleichgewicht. Wenn sie dann die Akademie verließ, flog sie dahin wie ein Kolibri und spreizte ihren feurig leuchtenden Schwanz. Durch die ausgeprägten Posen entwickelte sie eine Nostalgie, was ein ausgefallenes Wort für »Rückenschmerzen«
    ist. Hildred behauptete hartnäckig, daß sie Nostalgie meinte, aber Nostalgie war das falsche Wort. Sie hatte kein Heimweh, sondern ein Rückenleiden, hervorgerufen durch das Fliegen oder das Posieren als Geflügelte Siegesgöttin. Gelindert wurden die Schmerzen erst, als man ihr Schneeflöckchen gab.
    Und Tony Bring – womit verdient er seinen Lebensunterhalt?
    In letzter Zeit war er so still, so gedämpft. Wenn man diesen ruhigen, nüchternen Menschen nach Hause gehen sieht, würde man nie auf den Gedanken kommen, daß er die ganze letzte Nacht aus Leibeskräften gebrüllt hat. Er ist ganz eindeutig keiner von denen, die auf der Straße oder in der U-Bahn die Stimme erheben. Wenn er den Mund aufmachte, klang es
    anfangs eher wie ein Flüstern. Doch mit Flüstern verkauft man keine Zeitungen. Nein, das hat er ziemlich schnell gelernt. Man mußte sich eine Stentorstimme zulegen, eine Stimme aus Messing, die auch einen Toten aus seinen Träumen schrecken würde. Man mußte schieben und drängeln, man mußte die
    Ellbogen einsetzen und lauter schreien als die anderen. Nur so wurde man seine Last los. An Samstagabenden wußte Tony Bring, was Notalgie war: eine Verkrümmung des Rückgrats. In seinem Fall allerdings waren die Ursache dafür nicht
    irgendwelche Höhenflüge, denn wenn er Flügel hatte, so war er sich ihrer nicht bewußt, oder sie waren verkümmert. Er fühlte sich eher, wie sich eine Schnecke fühlen muß, die mit ihrem Haus auf dem Rücken umherkriecht. Und als der Schnee kam und die Schlagzeilen verkündeten, es sei ein Schneesturm, dann war es ein Schneesturm, denn ein Schneesturm ist ein Schneesturm. Die weichen, knochenlosen, harmlosen,
    geschmackslosen, geruchlosen Flocken trugen die Botschaft durch seine Nervenbahnen und verdünnten sein Blut…
    Obwohl er nun enger denn je mit der Großstadtpresse
    verbunden war, las er nichts als Schlagzeilen. Die Schlagzeilen waren die von Wirrköpfen errichteten Deiche, welche die Flut von Druckerschwärze abhalten sollten, die mit jeder Ausgabe stieg und die Bewohner zu ertränken drohte. Sie wurden in Schweiß und Gestank geschrieben, sie verschworen sich wie Prostituierte, sie schrien mit bösartiger Wut, sie verklärten und glorifizierten das wilde Getümmel, sie kreuzigten die Sünder, sie bewahrten das Andenken an die Toten, begeisterten die Dummen, rüttelten die Schwerfälligen aus ihrer dumpfen Lethargie. Die Schlagzeilen lasteten schwer auf seinem Geist, erstickten seine Träume, brachen ihm das Kreuz. Nicht einen Körper schleppte er abends nach Hause, sondern eine
    Ansammlung von blauen Flecken. Seine Träume waren wie
    die einer Raupe, die noch nicht gelernt hat zu fliegen, wie die einer Schildkröte, auf deren Panzer die Wellen hämmern.
    Besser als mit einem Handtuch um die Hüften auf einem
    Bein zu stehen war es, Blut für die zu spenden, die es brauchten. Dazu mußte man bloß gesund sein. Wenn man
    gesund war, hatte man gesundes Blut, und dafür wurden
    erstklassige Preise bezahlt. Für einen halben Liter gab es zwischen fünfzehn und hundert Dollar. Je nach Qualität.
    Mal angenommen, man hatte 1A-Blut. Natürlich hieß das nicht »1A«, aber das spielt ja keine Rolle. Der springende Punkt war: Wenn man gut aß, regelmäßig ein Glas Portwein trank und die Gedärme frei von Giften hielt, konnte man alle zehn bis vierzehn Tage einen halben Liter Blut verkaufen. Und dafür brauchte man keine Werbung zu machen, brauchte
    keinen politischen Einfluß zu haben und kein Kapital zu investieren. Bloß gutes, starkes, gesundes Blut, möglichst 1A-Blut – mehr

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