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Verrückte Zeit

Verrückte Zeit

Titel: Verrückte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Wilhelm
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ab, schleuderte sie zu Boden und zog sich den Bademantel an.
    »Du kannst nicht hier sein«, preßte Lauren zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor. »Das kann einfach nicht sein. Ich habe dich sterben sehen. Wenn du hier wärst, müßtest du ein Geist sein, und ich glaube nicht an Geister.«
    Während des Sprechens hatte er angefangen, sich eine etwas körperhaftere Gestalt zu geben, war fast sichtbar geworden. Jetzt flatterte der Bademantel zu Boden; er war verschwunden.
    Lauren sank in einen Sessel an dem Couchtischchen; sie zitterte. Nach einer Weile stand sie auf und packte vollends aus, dann machte sie Kaffee. Als der Kaffee fertig war, nahm sie ihn mit ans Fenster und hielt die Tasse zwischen beiden Händen, um sich daran aufzuwärmen. Das Meer brandete jetzt in hohen Wellen, die mit einem Dröhnen wie ständiges Donnergrollen gegen die Felsen krachten. Berge von schnell dahintreibendem Schaum wurden vom Wind gejagt. Einzelne Schaumbäusche wurden in die Luft gehoben, auseinandergerissen und in alle Richtungen verstreut. Genau wie er, dachte sie. Morgen würde sie eine Strandwanderung machen, nahm sie sich kraftlos vor, und den Hügel besteigen und … Morgen war noch weit weg.
    Der Schreck über ihre Worte hatte Corky aufgelöst, und er strengte sich verzweifelt an, wieder genügend Substanz zu erlangen, um darüber nachzudenken, was die Worte bedeuteten. Tot? Bestand darin sein Problem? Er fühlte sich nicht tot, andererseits, das mußte er sich eingestehen, fühlte er sich auch nicht annähernd so, wie er sich sein ganzes Leben lang bis vor kurzem gefühlt hatte. Er steckte in Mr. Kirby, der in seinem Büro saß und eine Horoskopzeitschrift las. Er steckte in zwei Kindern, die am Strand herumtollten. Er steckte in einem älteren Ehepaar, das im Auto auf dem Highway dahinbummelte. Alles falsch, dachte er, während sein Mittelpunkt hinüberschwebte zur Meerenge von Juan de Fuca und auf einem Frachtdampfer, der nach Norden unterwegs war, landete. Er hob wieder davon ab und befand sich schließlich in einem Laden in Oak Harbor. Hier, dann dort, ohne Übergang, ohne es zu wollen, ohne sich zu bewegen oder zu denken. Hier, dann dort. War das so, wenn man tot war? Wo waren die anderen? Nein, verdammt, schrie er tonlos. Er hatte noch nicht zu Ende gelebt! Er schwebte zurück zu dem Häuschen, wo Lauren am Fenster stand und sprach. Das Tonbandgerät stand auf dem Fenstersims; es war eingeschaltet.
    »Als ich klein war«, sagte sie, »hatten wir zu Hause einen großen Globus, und eines Tages machte ich die Erfahrung, daß ich, wenn ich immer weiter nach Süden ging, am Südpol ankäme. Von überall auf der Welt würde ich dort ankommen, wenn ich nur weit genug liefe. Doch vom Südpol aus nach Hause zu kommen, war ohne Hilfsmittel, ohne Instrumente unmöglich. Eine Abweichung von einer Fingernagelbreite würde mich nach Moskau oder Madras bringen, oder sonstwohin. Daran erkannte ich, daß die Welt geheimnisvoll und gefährlich war. Man konnte allein weggehen, aber man brauchte Hilfe, um zurückzukommen. Deshalb kann man nicht nach Hause zurückkehren, nicht wegen familiären oder anderen Problemen. Man kann sein Zuhause nicht finden.« Sie hielt inne.
    Corky war noch nicht ganz wieder da; er sah, daß sie zitterte. Es war sehr kalt in dem Häuschen. Er ging zur Tür. »Sprich weiter!« sagte er. »Ich hole etwas Holz herein und mache Feuer.«
    Sie senkte den Kopf. Ihr Kaffee war kalt geworden. Sie setzte die Tasse ab. »Wenn man schon von einem Geist heimgesucht wird«, sagte sie leise, »dann am besten von einem, der arbeitswillig ist.« Sie hörte, wie die Tür geöffnet und geschlossen wurde; dann spulte sie das Tonband zurück und ließ es abspielen. Als sie seine Stimme darauf hörte, nickte sie. Das hatte sie erwartet. Sie war in ihrem Wahnsinn äußerst gewissenhaft und gründlich.
    Sie sah zu, wie einige Holzklötze ins Haus schwebten und in den Kamin fielen, sah, wie kleine Scheite auftauchten, und schließlich Papier. Sie rührte sich nicht vom Fenster weg. Sie bezweifelte, daß sie sich hätte bewegen können. Eigentlich, dachte sie, bewunderte sie ihre Schöpfung mehr, als sie auf dem Tonband zugeben wollte.
    »Wenn es hier drin etwas wärmer geworden ist«, sagte er, »dann gehe ich ins andere Zimmer und verschaffe mir einen richtigen Körper; ich ziehe mir etwas an, und anschließend müssen wir miteinander reden.«
    Sie nickte. Deswegen war sie hierhergekommen, um über alles zu reden, Aufnahmen zu

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