Verrückte Zeit
Lebensmittelladen zu finden und etwas zu essen zu kaufen, dann eine einsame Strandhütte aufzusuchen und eine Selbstanalyse durchzuführen, so lange, wie es eben dauert.« Sie fuhr auf die Fähre und blieb im Wagen sitzen, während die anderen Leute ausstiegen und sich einen Platz an der Reling sicherten, um das Ablegen zu beobachten.
»Ich bin einsam«, flüsterte sie. »Wie kommt das? Warum sollte eine gesunde junge Frau in diesen Zeiten der Befreiung einsam sein? Und du«, sagte sie mit leidenschaftlicher Zufriedenheit, »wirst dableiben und zuhören, und wenn du schließlich irgendwann einmal verschwindest und nicht wiederkommst, dann weiß ich, daß ich geheilt bin.«
»Wenn du etwas zu essen kaufst, könntest du bitte genug für zwei besorgen?« fragte er bescheiden.
»Halluzinationen brauchen nichts zu essen«, fuhr sie ihn an; dann stieß sie die Wagentür auf, stieg aus, stellte sich an die Reling und sah den gleitenden Möwen zu, betrachtete die immer kleiner werdende Anlegestelle und die immer größer werdende Insel.
Die Autos knackten, als sie sich abkühlten; Türen wurden geknallt; Leute redeten, schrien, lachten; die stampfenden Dieselmotoren der Fähre dröhnten und donnerten in ihren Ohren und machten sich als Vibrationen in den Planken unter ihren Füßen bemerkbar. Sie hielt das Gesicht der Insel entgegen, trotzte dem Wind und machte ihn dafür verantwortlich, daß ihr die Augen brannten. Die Luft roch jetzt nach Meer, und das war gut so, sehr gut.
DREIZEHNTES KAPITEL
Yeah! hätte Corky am liebsten zu Lauren gesagt. Einsam, das ist das richtige Wort! Genauso ist es! Plötzlich schwappte ein Gefühl der Feierlichkeit über ihn, ein unerwartetes Aufbegehren von Traurigkeit. Einsam, Herrgott noch mal! Yeah, einsam. Er konnte sich mit den Kerlen ringsum unterhalten, mit den Kindern herumalbern, einen Joint rauchen, ein Bier trinken, und jeder von ihnen versank immer tiefer und tiefer in sich selbst. Oder er konnte mit Joanna irgendwohin gehen, konnte sich mit ihr über den Film unterhalten, den sie gerade gesehen hatte, konnte sagen: ja, er war wirklich gut, nicht wahr, oder: so ein Quatsch – und das war es dann auch schon. Jedesmal hatte er sich wieder seinen Zeichnungen zugewandt, einem Gemälde, an dem er gerade arbeitete, etwas, bei dem er allein sein konnte. Nicht, weil er unbedingt allein sein wollte, sondern weil es so einfacher war. Den Zeichnungen konnte er sagen, was er dachte, und sie lachten ihn nicht aus, machten kein verdutztes Gesicht oder, was schlimmer war, ein leeres Gesicht. Einsam. Sie hatte dem Zustand einen Namen gegeben, der ihn seit Jahren quälte, auch wenn er von Leuten umgeben war, oder vielleicht gerade dann.
Er betrachtete sie, wie sie sich mit den Ellbogen auf die Reling lehnte, um über das Wasser zu sehen, und er wußte, daß ihre Augen von den Tränen glänzten, die sie auf den Wind schob, der ihr ins Gesicht blies, genau wie er es auf den Wind schieben konnte, daß seine Augen brannten. Er wünschte, er hätte sie trösten können, doch er wußte, daß seine Anwesenheit nicht nur kein Trost war, sondern sogar eine Bedrohung für ihr Wohlbefinden darstellte. Er seufzte und löste sich vom Wagen, um sich an ein nahes Geländer zu lehnen, von wo er die kreisenden Möwen beobachtete. Sie wußten wenigstens, was sie wollten, welchen Sinn das Leben hatte. Abfall, dachte er – für eine Möwe bedeutete Abfall ein gutes Leben.
Sie verließen die Fähre, und sie begann die Fahrt über die Insel, ohne Ziel und jetzt auch ohne Eile. Sie war so tief in ihr Grübeln versunken, daß sie kaum etwas von der Umgebung, durch die sie fuhren, wahrnahm: Farmen, Schafe, Ziegen, Kühe und die allgegenwärtigen Berge. Manchmal führte die Straße so hoch hinauf, daß man das offene Meer sehen konnte oder den Kanal, der die Insel vom Festland trennte. Auf der östlichen Seite der Insel hatte sich keine Luftbewegung bemerkbar gemacht, sobald sie jedoch den mittleren Höhenzug überquert hatte und die kurvige Straße hinunterfuhr, blies der Wind mit gleichbleibender Heftigkeit. Die Insel wurde schmaler, und an der engsten Stelle konnte sie den Kanal und das offene Meer gleichzeitig sehen; langsam tauchte Lauren aus der Tiefe ihrer Gedanken wieder auf. Sie nickte, weil ihr die Landschaft gut gefiel; das war es genau, das sie gesucht hatte – frischer Wind, Seeluft, wenig Menschen, kein Lärm. Sie bewunderte jetzt die Höhe des Farnkrauts auf den steilen Hügeln. Dichtes
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