Verrückte Zeit
Gestrüpp und Riesenfarn, eine urtümliche Szene, eine heilsame Szene. In Oak Harbor hielt sie vor einem Lebensmittelladen an und kaufte genügend für ein oder zwei Tage zu essen ein; wieder hielt sie sich zurück, dagegen zu protestieren, als Dinge, die sie nicht ausgewählt hatte, in ihrem Einkaufswagen landeten, bis sie schließlich überhaupt keine Beherrschung mehr darüber hatte und ihm überallhin folgte, wohin er steuerte.
Sie fand ein Geschäft, das sich auf eine beschränkte Auswahl von allem möglichen spezialisiert zu haben schien, und nahm ein Tonbandgerät und Tonbänder für eine Spieldauer von sechs Stunden aus einem Regal. Sie fügte noch ein Notizbuch hinzu, dann fiel ihr ein, daß sie bereits eins gekauft hatte, und wollte das neue wieder weglegen. Aber das andere ist doch für ihn, dachte sie gleich darauf mit absoluter Klarheit, und sie biß sich auf die Lippe, um nicht laut aufzuschreien. An der Kasse fragte sie nach einfachen Unterkünften, Häuschen, die zu vermieten waren, oder so etwas; nur kein Motel sollte es sein. Kirby’s Cottages, wurde ihr gesagt, und sie hörte aufmerksam der Wegbeschreibung zu; dann setzte sie ihre Fahrt fort. Sie wußte genau, was sie vorhatte.
Die schmale Straße, die vom Highway abging, wand sich um den Fuß eines steilen Hügels, der wie eine Farnpflanzung aussah; ein Wiesenhang neigte sich bis zum Meeresufer, wo tief unten ein felsiger Strand in der einsetzenden Ebbe glitzerte. Die Wellen schlugen hoch und klatschten gegen den Stein – genau das, was sie brauchte, dachte sie zufrieden. Sie könnte herumklettern, laufen, wandern, nachdenken, sich ertränken, von einer Klippe stürzen, alles, was ihr angemessen erschien. Mr. Kirby nahm zur Kenntnis, daß sie ein Häuschen mit Meerblick wünschte, und stellte mit unverhohlener Mißbilligung fest, daß sie allein war.
»Ich nehme an, Sie sind noch nie im Winter hier draußen gewesen«, sagte er, während er ihre Kreditkarte entgegennahm. »Sie können morgen einziehen oder noch heute abend, wann immer es Ihnen paßt. Holz ist auf dem Vorplatz aufgestapelt, der Strom ist eingeschaltet. Nummer sechs. Ein Restaurant gibt’s eine Meile weit die Straße runter, Smiler’s Fisch-Stube. Gutes Essen. Nummer sechs hat aber auch eine Küche, wenn Sie selbst kochen wollen.«
Er war ein gebeugter Mann mit brauner Haut, knorrigen Händen, einem gefurchten Gesicht und sehr blauen Augen. Jetzt lächelte er sie an. »Wenn Sie etwas brauchen, Miss, sagen Sie es mir. Ich komme sofort.«
»Danke«, sagte sie. »Ich möchte einfach nur allein sein und in Ruhe arbeiten. Ich habe alles, was ich brauche.«
Ein Kiesweg führte zum Häuschen Nummer sechs, das so einsam lag, wie Mr. Kirby gesagt hatte. Dahinter erhob sich steil ein mit Farnkraut bewachsener Hügel; dichte immergrüne Bäume schirmten den Blick nach beiden Seiten ab, und vorn fiel das Gelände zum Meer hin ab. Das Farnkraut schwankte und wogte im Wind, tanzte in einem ständigen Wechsel zwischen Hell und Dunkel. Wunderbar. Sie stand auf der geschützten kleinen Veranda, atmete tief ein und aus und saugte die Seeluft in sich ein, genoß das Singen des Winds, die Geräusche des Meeres, die Laute, die nicht von Menschen erzeugt wurden, kein Hupen, kein Verkehrslärm, kein Telefon. Schließlich betrat sie das Häuschen.
Der Wohnraum hatte einen großen Kamin, Fenster, die aufs Meer hinausgingen, und eine Kochnische in der gegenüberliegenden Wand. Er war mit einem leuchtenden, rötlichen Holz getäfelt; auf dem Boden lag ein gewebter Teppich und auf der Couch eine rote und gelbe Wolldecke; vor der Couch stand ein kleines Tischchen und darum herum einige Holzsessel mit roten Kissen. Freundlich. Warm. Gemütlich. Die Fenster des Schlafzimmers gingen ebenfalls in Richtung Wasser. Wunderbar, sagte sie noch einmal leise vor sich hin. Sie ging hinaus, um ihre Sachen aus dem Auto zu holen.
Sie nahm die Lebensmittel; Corky hob die Einkaufstüte vom Kaufhaus hoch und trug sie ins Haus. Sie machte ihm mit weit aufgerissenen Augen den Weg frei.
»Wie erklärst du dir das?« fragte er und stellte die Tüte auf einem massiven Tisch ab.
Sie machte einige Schritte zurück, blaß und steif. »So etwas gibt es«, sagte sie leise. »Die Patientin tut Dinge und vergißt sie; statt dessen macht sie die Sinnestäuschungen, mit denen sie sich fast abgefunden hat, dafür verantwortlich. So etwas gibt es!«
Er wühlte in der Tüte herum, zog den Bademantel heraus, riß die Preisschilder
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