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Verrückte Zeit

Verrückte Zeit

Titel: Verrückte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Wilhelm
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Er wußte immer noch nicht, wie es ihr gelungen war, zwei der Verfolgungswagen außer Gefecht zu setzen, bis jetzt wenigstens noch nicht. Aber bald würde er es wissen. Seine Jungs hatten sich der Sache angenommen, Captain Leonard Drissac und Sergeant Dave Carroll. ›Der Schöne und das Tier‹, hatte man sie mehr als einmal genannt; für ihn waren es der Kopf und der Bauch. Er hatte Drissac ins Vertrauen gezogen, soweit es ihm überhaupt ratsam schien, jemanden ins Vertrauen zu ziehen. Laßt euch, um Himmels willen, nicht blicken. Vermeidet direkte Beobachtung, verlaßt euch ausschließlich auf Ortungsgerät und Bildschirm. Wir müssen wissen, wohin sie geht, wo sie stehenbleibt, ob sie mit jemandem spricht, irgend etwas entgegennimmt, all diese Dinge. Klar? Jawoll, Sir. Und der Junge würde es machen, das wußte Trigger Happy, er würde die gewünschten Informationen beibringen.
    Und Trigger Happy konnte ihm vertrauen, denn Leonard Drissac schätzte die Gefahr genauso richtig ein wie er selbst, und er glaubte an die gute Sache mit der gleichen Überzeugung wie er. Sie hatten während der vergangenen fünfzehn Jahre immer mal wieder zusammengearbeitet; sie kamen gut miteinander zurecht.
     
    Auf der Insel blickte Corky hinunter zum Strand, wo zwei Kinder schon zu so früher Stunde emsig dabei waren, Muscheln oder Haifischzähne oder sonst etwas zu sammeln. Lauren war zum Weggehen angezogen, und er hatte sich sein Sweatshirt über den Arm gehängt.
    »Versteh doch, wenn wir an den Strand gehen, dann muß ich mich unsichtbar machen, und das will ich nicht. Ich möchte mit dir reden können, ohne daß die Leute auf eine Dame, die Selbstgespräche hält, aufmerksam werden. Laß uns doch lieber auf den Hügel hinauf und in den Farnwald gehen! Übrigens wird es dort auch nicht so windig sein.«
    Sie zuckte die Achseln. Den ganzen Morgen hatte sie so getan, als ob sie ihn nicht sähe. Und sie sprach nicht mit ihm. Sie hatte beschlossen, weniger nachsichtig sich selbst gegenüber zu sein, und der erste Schritt dazu war, die Existenz von Corky zu ignorieren. Aber auch sie hatte keine Lust, den Strand mit den beiden kleinen Jungen und deren Eltern zu teilen. Sie nahm den Schlüssel, sah sich noch einmal um, dann ging sie hinaus, schloß die Tür ab und steckte den Schlüssel in die Tasche; sie folgte dem Kiesweg bis dahin, wo der Wanderweg anfing. Corky war neben ihr und zog sich das Sweatshirt an. In ihrem Häuschen hatte sie einen Prospekt gefunden, in dem die gebotenen Zerstreuungsmöglichkeiten aufgeführt waren. Muschelsammeln am Strand, Spazierengehen auf einem halben Dutzend von Wegen über die Hügel, Angeln auf der anderen Seite der Insel – Boote standen zur Verfügung –, Golfspielen. Der kürzeste Wanderweg führte in den Farnwald und zu einem Wasserfall, Dauer etwa eine Stunde. Der längste schlängelte sich kreuz und quer über die Hügel, Dauer fünf Stunden. Dabei würde sie auf den Bergkamm kommen und könnte von dort aus Kanada im Nordwesten und die Olympic Mountains im Südwesten sehen. Sie machte sich daran, das erste Stück des Weges hinaufzusteigen.
    Der Wind war an diesem Morgen scharf und beißend; die Sonne schien grell, und der Himmel war tiefblau; alles tropfte, die Bäume, der Ginster, der hier das Untergestrüpp bildete, und die dicken Gräser, die taillenhoch wuchsen. Der Weg machte eine Biegung, und danach wurde der Wind von den Bäumen abgehalten; der Wald wurde dichter. Der Pfad war gepflegt, steil, aber gut begehbar. Lauren fehlte der Atem zum Sprechen und, wie es den Anschein hatte, zum Denken. Sie fühlte sich während des Aufstiegs auf merkwürdige Weise leer.
    Corky hatte schließlich einen Plan gefaßt, wie er ihr überzeugend beweisen könnte, daß er wirklich hier bei ihr sei und gleichzeitig noch an anderen Orten. Aber erst mußten sie den Bergkamm erreichen.
    Schweigend gingen sie auf dem Weg weiter, der jetzt eben war, und nun sahen sie die ersten Farngewächse. Sie maßen etwa einen Meter dreißig in der Höhe und einen Meter achtzig im Durchmesser, und die einzelnen Wedel glänzten von Regentropfen. Bei jedem Schritt, den sie weitergingen, wurden die Farne größer. Einsneunzig hoch, zweifünfzig. Lauren hielt den Atem an und blieb stehen, um diese fremdartige Landschaft auf sich wirken zu lassen. Wie vor einer Million von Jahren, dachte sie, fünfzig Millionen. Die Farnwedel wiegten sich anmutig in der leichten Brise, die sich ihren Weg durch das Dickicht des Waldes bahnte;

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