Verschärftes Verhör
bis man ihn von der Straße aus nicht mehr sehen konnte, und trat aus dem Schutz der Bäume. Die Gärtner mussten kürzlich da gewesen sein, denn alles wirkte sehr gepflegt und roch nach frisch gemähtem Gras. Das Haus war völlig dunkel. Die Bäume und der Abendhimmel spiegelten sich in den schwarzen Fenstern. Harry schlich zu den Geranientöpfen auf der Terrasse, schob den größten beiseite und tastete darunter nach seinem Schlüssel.
Er hatte einunddreißig Jahre in diesem Haus gelebt und war doch immer auf diese Weise gekommen und gegangen. Aus Sicherheitsgründen, hatte er gesagt. Falls etwas schiefginge, wäre es besser, keinen Schlüssel bei sich zu haben. Selbst als er in Langley stationiert war, hatte er niemals einen Schlüssel dabeigehabt. Lieber stahl er sich wie ein Eindringling ins Haus, denn so hatte er sich dort immer gefühlt. Nun schloss er wie unzählige Male zuvor die Hintertür auf und glitt ins Haus.
Er stand inmitten der vertrauten Küche und entdeckte überall Geschenke, die er Irene aus Reue mitgebracht hatte: Steingut-Hähne aus Portugal, eine wunderschön verzierte Kaffeemühle aus Messing, die er auf einem Markt in Istanbul entdeckt hatte. Erstaunlich, dass man mit einem Ort ganz und gar vertraut sein und sich dennoch als ewiger Außenseiter fühlen konnte.
Er hätte sich gern etwas zu essen genommen. Er war hungrig und hatte in den letzten vierundzwanzig Stunden nur das Zeug im Flugzeug gegessen. Außerdem sehnte er sich danach, das Celestron in seinem Arbeitszimmer anzusehen. Aber er war ein Eindringling, und daher blieb er, wo er war, horchte auf das Ticken der Uhr, die im Wohnzimmer auf dem Kaminsims stand, und wartete, dass Irene die Haustür aufschloss.
Er musste nicht lange warten. Es war keine halbe Stunde vergangen, als er ihren Wagen in der Einfahrt hörte. Die Autotür schlug zu, Pfoten kratzten an der Haustür. Der Hund, den Harry immer gehasst hatte, witterte ihn sofort und stürmte bellend herein.
»Glory!«, rief Irene. Ein typischer Südstaatenname, der zu der verblichenen Eleganz passte, nach der sie sich immer gesehnt hatte. »Sei still, Glory!«
Dann ging unvermittelt das Licht an, und sie stand in der Küchentür. Schaute Harry ruhig und nüchtern an.
»Der Schlüssel«, sagte er und legte ihn auf die Arbeitsplatte. »An den hattest du wohl nicht mehr gedacht.«
Der kleine Hund wich knurrend zurück, doch Irene blieb ungerührt. Sie stand da, eine Einkaufstüte in der rechten Hand. Harry erkannte darin ein Tiefkühlgericht und eine große Flasche Wein.
Er holte einen Umschlag aus der Brusttasche seines Jacketts. »Ich habe die Papiere mitgebracht.« Er legte sie neben den Schlüssel.
Irene schwieg.
»Du siehst gut aus«, sagte Harry, was auch stimmte. Aber sie hatte immer auf sich geachtet. Sie trug sportliche Kleidung – eine schmale Hose und ein teuer aussehendes Oberteil aus Lycra – und sah aus, als käme sie frisch aus einem Fitnessstudio, in dem die Leute niemals schwitzen. In diesem Augenblick begriff er, welch ein Verbrechen er begangen hatte, als er sie heiratete.
»Was willst du?«, fragte sie müde. Der Hund hatte sich vorerst beruhigt und zu ihren Füßen niedergelassen.
»Ich brauche deine Hilfe«, sagte er. Es hatte keinen Sinn, um den heißen Brei herumzureden.
Irene lachte verbittert, stellte die Einkaufstüte ab und nahm die Weinflasche heraus. »Du hast sie nicht unterschrieben, oder?« Sie warf einen Blick auf die Papiere, als sie ein Glas aus dem Schrank holte.
»Doch, sieh selbst.«
Wieder betrachtete sie den Umschlag, ohne ihn anzufassen, und öffnete stattdessen die Flasche.
»Diesmal geht es nicht um mich«, erklärte Harry.
»Ach nein?« Sie schenkte sich großzügig ein. »Das geht es doch nie.«
»Es geht um den Jungen. Den, der angerufen hat. Er ist in Schwierigkeiten, Irene.«
Sie schloss die Augen und trank einen langen, tiefen Zug. »Dick ist schon bei mir gewesen.« Ihr Tonfall ließ deutlich erkennen, wie sehr sie ihn verabscheute. Sie hatte allen Grund, ihn zu hassen. Immerhin hatte sie viel für ein Ziel geopfert, das letztlich Morrows Ziel war. »Er wollte das Haus bewachen lassen. Ich habe ihm gesagt, er soll sich verpissen.«
Das erklärte einiges. »Ich habe schon immer gedacht, dass du deinen Beruf verfehlt hast. Du wärst ein toller Verbindungsoffizier geworden. Viel besser als ich.«
»Wer weiß, wenn ich zwanzig Jahre später geboren wäre …«, entgegnete Irene ernsthaft.
»Hat er erwähnt, ob sie
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