Verschärftes Verhör
Verderb ausgeliefert.
Kat konnte kaum mit den beiden Schritt halten. Die Jungen waren schnell und fanden sich geschickt zurecht, sprangen in ihren Plastiksandalen elegant über die Hindernisse, während Kat hinterherstolperte und in Abwässern und fauligem Abfall ausrutschte.
Es war eine schwindelerregende Jagd, die zum Glück nicht lange dauerte. Nach etwa fünf Minuten blieb das Paar abrupt stehen.
»Da, Schwester.« Der ältere Junge deutete in einen Durchgang. Vor einer Hütte brannte noch ein Feuer. »Da wohnt Mahjoub.«
»Ganz sicher?«, fragte Kat und streckte ihm die Faust mit dem Geld entgegen.
Die Jungen nickten.
»Wartet hier«, setzte sie an, sah dann aber den Ausdruck ihrer Augen, die Gier, und begriff, wie sinnlos es war, sie hinzuhalten, damit sie sie wieder hinausführten. Sie hatten alles aus ihr herausgeholt und hungerten nun nach etwas anderem, wollten nur weg. Sie öffnete die Faust, worauf die beiden sich die Münzen schnappten und verschwanden.
Kat ging allein zu der Hütte. Sie wirkte solider als die übrigen. Die Wände bestanden aus altem Sperrholz, das Dach aus Wellblech. Die Feuergrube war aus einem großen Metallfass gefertigt, auf dem ein Rost aus Stahlbeton lag.
Hier wurde alles wieder und wieder verwendet, dachte Kat. Sie musste an die Afghanen denken, die die Müllkippe in Kandahar durchsucht hatten. Wie sorgfältig sie die benutzten Essenspackungen der Amerikaner gesammelt und ausgespült und den robusten schwarzen Kunststoff als wasserdichtes Baumaterial benutzt hatten.
Als Kat sich der Hütte näherte, vernahm sie Männerstimmen, die von rauem Gelächter unterbrochen wurden. Es zeugte von Selbstvergessenheit, von trostlosen Geschichten, die mit der Zeit amüsant geworden waren. Kat horchte. Auf einmal wurde ihr klar, dass sie Jamal niemals hatte lachen hören, weil es in Bagram keinen Grund zum Lachen gegeben hatte. Und doch spürte sie instinktiv, dass auch seine Stimme darunter war. Sie blieb eine Weile stehen, ganz allein in der Dunkelheit, und hörte zu.
Irgendwann wurde die Sperrholztür aufgestoßen, und eine Gestalt erschien. Es war Jamal. Er blieb auf der Schwelle stehen, ging ein paar Schritte, öffnete die Hose und pinkelte in den offenen Abflussgraben.
Ihre Blicke trafen sich, als er gerade wieder hineingehen wollte. Sein Gesicht verzog sich in abgrundtiefem Entsetzen.
Virginia
Ein anderes Haus, hübscher als Irenes, aber bescheidener als erwartet. Auch ein gepflegter Garten. Backstein und Buchsbaum. Glühwürmchen, die wie eine verrückte Weihnachtsbeleuchtung blinkten. Hinter den Vorhängen im Wohnzimmer eine kräftige Gestalt – zweifellos eine Frau, aber nicht Susan. Eine Frau, die selbst als Schatten zornige Autorität verströmte.
Ein Fehler, dachte Harry, während die Gestalt in den Tiefen des Hauses verschwand. Es war ein Fehler gewesen, herzukommen, aber das hatte er von Anfang an gewusst. Als er zwei Stunden zuvor von Irene weggegangen war, hatte er die besten Absichten gehabt. Er wollte in dem wenig vertrauenerweckenden Café neben seinem ebenso wenig vertrauenerweckenden Motel einen Burger essen und ein Bier trinken. Dann eine halbe Stunde fernsehen und schlafen. Tief und fest. Fünf Biere später hatte er es sich anders überlegt.
Er war einmal bei einer Weihnachtsfeier in Dick Morrows Haus gewesen und erinnerte sich an alle prachtvollen Details – die riesigen afghanischen Teppiche, die geschnitzten afrikanischen Fetische mit den ausladenden Genitalien, das viele Holz, das auf Hochglanz poliert war wie Altarsilber. Es war kurz nach seiner Rückkehr aus Kinshasa gewesen. Damals galt er noch als hoffnungsvoll, und man lud ihn zu Weihnachtsfeiern ein. Er war zusammen mit Irene, seiner Verlobten, gekommen.
Es war das erste Mal seit Vietnam, dass er Susan gesehen hatte, das erste Gespräch seit jenem Telefonat in Cam Ranh. Harry war aufrichtig davon überzeugt, Irene zu lieben, und hatte sich Susan gegenüber um pure Höflichkeit bemüht. Dennoch hatte Irene etwas gemerkt, seine Nervosität gespürt. Auf der Heimfahrt war sie ungewöhnlich still gewesen, als dächte sie über ihr künftiges Leben nach.
Danach hatte Harry eine Zeitlang damit gerechnet, sie würde ihn verlassen. Als sie es nicht tat, erlosch auch sein Mitleid.
Ein großer Geländewagen bog in die schmale Straße. Harry rutschte auf seinem Sitz nach unten, doch der Wagen fuhr weiter.
Als er wieder zu Morrows Haus schaute, öffnete sich das Garagentor, und die kräftige Gestalt
Weitere Kostenlose Bücher