Verschärftes Verhör
kam heraus. Sie schleppte eine große Mülltonne die Einfahrt hinunter, obwohl sie mit Rädern versehen war, so wie man eine Rinderhälfte oder einen Toten tragen würde. Am Bordstein stellte sie die Tonne mit einem zufriedenen Grunzlaut ab.
Eine Russin, dachte Harry, eine gottverdammte Russin, und das in Morrows Haus. Die Vorstellung faszinierte ihn so sehr, dass er gar nicht den missbilligenden Blick der Frau bemerkte. Dann war es zu spät.
Ihre Blicke trafen sich. Dann schüttelte sie auf jene typisch sowjetische Art – halb resigniert, halb angewidert – den Kopf.
Morrow stand vom Schreibtisch auf und öffnete den Schrank, in dem er Kopfkissen und Decke aufbewahrte. Es war ein Uhr morgens, doch er brachte es nicht über sich, nach Hause zu fahren. Noch eine Nacht wie die vergangene konnte er nicht ertragen. Susan tobte unter ihm, und Marina schlich umher. Die beiden hatten recht; er war nicht Manns genug, um das Notwendige zu tun.
Er streifte die Schuhe ab, machte sich sein Bett auf der Couch und goss sich einen Bourbon ein. Pur. Aus dem Flur drang das leise Heulen einer Bohnermaschine. Die Hausreinigung war fleißig.
Beim zweiten Drink klingelte das Telefon, und er hätte beinahe nicht abgehoben. Um diese Zeit gab es niemals gute Neuigkeiten, und er rechnete auch jetzt nicht damit. Nur der Gedanke an Susan ließ ihn zum Hörer greifen. Zu seiner Erleichterung meldete sich David Kurtz.
»Sie ist weg.«
Morrow war in Gedanken noch bei Susan und brauchte einen Augenblick, bis er den Mann verstanden hatte. »Wann?«
»Irgendwann letzte Nacht. Aber sie kommt nicht weit. Ich habe ihren Pass.«
»Das tröstet mich nicht sonderlich«, knurrte Morrow. »Eine Spur von dem Jungen?«
»Noch nicht.«
Morrow schüttelte den Kopf. Für Zweifel war jetzt keine Zeit. »Du musst sie finden. Beide.«
25
Marokko
»Du musst mir sagen, was in Madrid passiert ist. Es ist wichtig, Jamal. Für uns beide.«
Die anderen waren früh aufgebrochen, so dass Kat und Jamal allein in der Hütte zurückblieben. Allein, wie sie es so viele Male in der Verhörkabine in Bagram gewesen waren. Allerdings musste Kat sich eingestehen, dass sie den Jungen diesmal sehr viel dringender brauchte als er sie.
»Du steckst in Schwierigkeiten, Jamal. Aber das weißt du selbst, oder? Darum bist du ja hier.«
Jamal nickte. »Sie haben Mr Justin getötet.«
»Justin?«, fragte Kat.
»In Madrid«, erklärte Jamal. »Meinen Amerikaner.«
»Du meinst, deinen Kontaktmann? Den, an den du berichtet hast?«
»Ja. Die ihn getötet haben, waren auch Amerikaner.«
»Sie wollen dich töten. Und mich jetzt auch«, sagte sie und fragte sich dabei, wer »sie« wohl sein mochten. Es gab viele Möglichkeiten. Sie konnte nicht einmal sicher sagen, für wen Kurtz arbeitete. Oder Morrow. Dass er beim Verteidigungsministerium war, hatte nicht viel zu bedeuten. »Ich kann dir helfen, aber ich muss wissen, was passiert ist.«
Jamal lehnte sich gegen eine Gemüsekiste, schloss die Augen und hob das Gesicht zur Decke. Dies konnte zweierlei bedeuten: Entweder bereitete er sich auf ein Geständnis vor, oder er würde sich noch weiter in sich zurückziehen und jede Aussage verweigern.
»Bitte«, sagte sie. Das eine Wort, das man einem Gefangenen gegenüber nie benutzen durfte. »Bitte, Jamal, du musst mir vertrauen.«
Er senkte den Kopf und öffnete die Augen. Dann schaute er sie unverwandt an. Kat wusste, er würde sich fügen und die Wahrheit sagen. »Aber es gibt nichts zu sagen.«
Jamal war nicht sofort auf die Idee mit der Lüge gekommen. Als er Bagheri in der Metzgerei im Fernsehen gesehen hatte, hatte er ihn sofort erkannt – die große Pockennarbe auf der rechten Wange, die eng beieinanderliegenden Augen, den Mund, der kein einziges Mal gelächelt hatte –, war aber gar nicht auf die Idee gekommen, sein Wissen auszunutzen. Er zweifelte nicht daran, dass dies derselbe Mann war, den er in Peshawar getroffen hatte. Der Mann, der ihn aus Spanien weggebracht hatte, hatte ihn einem Pensionsbesitzer als Zahlung angeboten, und Bagheri hatte Jamal zur Flucht verholfen und ihm ein besseres Leben versprochen. Letztlich aber war es wie mit allen anderen gelaufen.
Bis zu diesem Augenblick hatte Jamal nichts von Bagheris Flucht oder dem Tod des zweiten Mannes gewusst und sich die Reportage daher interessiert angeschaut. Die britischen Soldaten kannte er noch aus der Nacht, in der man ihn aufgegriffen hatte. Sie waren nicht unfreundlich gewesen, und daher
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