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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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überraschte es ihn, dass sie am Tod des Gefangenen beteiligt sein sollten.
    Erst bei seinem nächsten Treffen mit Mr Justin, das zwei Tage später stattfand, war Jamal auf die Lüge verfallen. Er hatte ihm Bagheris Namen angeboten, wie man einem ausgehungerten Hund einen Brocken Fleisch vorwirft, und gehofft, damit sein eigenes Leben zu schützen oder das Unvermeidliche zumindest hinauszuschieben.
    Die erste, leichtfertige Lüge. Er hatte nicht an jene gedacht, die folgen würden, sondern nur an das, was in diesem Augenblick nötig war: Hamid Bagheri ist in Madrid.
    Der Gesichtsausdruck des Amerikaners, als er Jamals Worte vernahm, die ungeheure Gier, die der Junge nur zu gut kannte. Die Unersättlichkeit, die Jamal im Gesicht jenes ersten Mannes in Tanger gelesen hatte, bei Abdullah und auch bei Bagheri.
    Hast du ihn gesehen?
    Noch ein Brocken. Zweimal schon. In der Moschee in der Calle Espino.
    Bist du dir ganz sicher, Jamal? Absolut sicher?
    Ja, im Namen des Propheten, ja.
    War er allein?
    Beim ersten Mal schon. Beim zweiten Mal war noch ein anderer Mann dabei. Er dachte fieberhaft nach. Einzelheiten, man brauchte Einzelheiten, wenn man glaubwürdig klingen wollte. Ein Saudi. Die Lüge entwickelte ein Eigenleben. Es war zu spät, um etwas zurückzunehmen.
    Und schon hatte er den Amerikaner an der Angel.
     
    »Ich wollte nicht, dass jemand verletzt wird«, sagte Jamal, als er seine Geschichte beendet hatte. »Aber Mr Justin hat immer weiter gedrängt. Jamal, was siehst du? Jamal, was hörst du? Er würde mir kein Geld mehr geben, wenn ich ihm nichts sage.«
    Genau wie früher, er wollte allen gefallen, dachte Kat, die nicht einen Augenblick an seinen Worten zweifelte. Genau das hatte sie wieder und wieder in der Kabine erlebt: den gefährlichen Augenblick, in dem das Bedürfnis des Gefangenen, alles zu gestehen, und das Bedürfnis des Verhörenden, dieses Geständnis zu erlangen, alle Logik und Vernunft zu verdrängen drohten, wenn zwei verfeindete Parteien zu Komplizen einer Täuschung wurden, bei der es kaum noch um Fakten ging.
    Wieder und wieder hatte man Kat und ihre Kollegen davor gewarnt, hatte ihnen ihre eigenen Schwächen unablässig vor Augen geführt. Zweifellos hatte Jamals Amerikaner die gleiche Lektion gelernt. Allerdings war es eine Sache, die eigenen Unzulänglichkeiten zu verstehen, und eine andere, sie zu überwinden.
    Wann immer Kat auf falsche Geständnisse hereingefallen war, waren Enthüllung und Erfindung so subtil miteinander verschmolzen, dass weder sie noch der Gefangene es bemerkt hatte. Später wusste niemand mehr zu sagen, wo die Wahrheit endete und die Lüge begann.
    »Es ist schon gut«, sagte sie zu Jamal. »Ich verstehe dich.«
    Aber es war nicht gut. Ganz und gar nicht. Inzwischen sah sie keinen Ausweg mehr.
    Jamals Gesicht hellte sich auf. »Wir können alles erklären, ja? Du hilfst mir.«
    Kat dachte nach. Sie hatte ihn schon zu oft getäuscht. Andererseits brachte sie es nicht über sich, ihm die Wahrheit zu sagen, dass ihm seine Lüge über den Kopf gewachsen war und keine Erklärung der Welt daran etwas ändern konnte.
    Kat verstand noch immer nicht, was genau geschehen war und weshalb Bagheris angebliche Anwesenheit in Madrid die Ereignisse der letzten Woche in Gang gesetzt hatte. Was immer der Grund sein mochte, Colin und Stuart waren deswegen gestorben. Sie hielt es für unwahrscheinlich, dass man sie und Jamal einfach entkommen lassen würde.
    Vielleicht wusste Bagheri etwas über die Vorfälle in der Salzgrube. Vielleicht das Gleiche, was auch Colin und Stuart gewusst hatten. Vielleicht hatte das SBS-Team Bagheri wirklich bei der Flucht geholfen, wie Hariri angedeutet hatte. Doch das alles erklärte nicht, weshalb Morrow und Kurtz ein solches Interesse an Bagheri hatten und warum sie sich erst jetzt der beiden SBS-Männer entledigt hatten.
    Sie erinnerte sich daran, wie Colin im Lager der Spezialkräfte auf Kurtz gewartet hatte, dachte an den folgenden Abend im Verhörzentrum und Kurtz’ Gesicht, als das SBS-Team unter Beschuss geriet. Es steckte mehr dahinter. Irgendetwas war ihr entgangen.
    Sie sah Jamal kopfschüttelnd an. »Es tut mir leid, aber ich kann das nicht einfach ungeschehen machen. Wir sind in Schwierigkeiten, Jamal. In ernsthaften Schwierigkeiten.«
    »Aber es gibt keinen Bagheri«, beharrte er. »Verstehst du das nicht?«
    »Doch, schon, aber so einfach ist es leider nicht.«
    Jamal schwieg.
    »Hör zu«, sagte Kat, »ich werde mir etwas überlegen,

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