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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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lassen.
    Der Mann tauchte wieder in den Schatten, und Harry ging weiter. Dabei zählte er die Straßen und rief sich den Stadtplan in Erinnerung, den er am Flughafen gekauft hatte. Drei Straßen, danach links. Vier und noch mal links. Ein blinder Mann, der sich durch ein Labyrinth tastete.
Virginia
    Morrow konnte den Hund schon hören, als er sich dem Haus näherte. Der Corgi hatte auf dem Sofa gesessen und aus dem großen Fenster geblickt. Er schien nur auf ein Opfer zu warten, und Morrow war seine erste Wahl. Jetzt ließ die Kreatur ihrem ganzen Zorn freien Lauf, rannte hektisch auf dem Sofa hin und her und sprang gegen die Scheibe wie ein Kampfhund. Morrow klingelte ungerührt an der Tür. Er hatte bemerkt, dass Irenes Volvo in der Einfahrt parkte.
    Er klingelte, drei klare Glockentöne, begleitet von wildem Gebell. Er hörte Schritte auf dem Holzboden. Eine Hand schob den Vorhang mit dem Efeumuster beiseite, der das ovale Fenster in der Tür verdeckte. Dann war Irenes Gesicht zu sehen. Sie wirkte wenig erfreut.
    Sie öffnete die Tür nur einen Spaltbreit. »Hallo, Dick«, sagte sie ausdruckslos und ohne jede Wärme. Sie war schlank und gebräunt und trug makellose weiße Tenniskleidung. Das ärmellose Top und der kurze Rock verrieten, wie gut sie sich gehalten hatte.
    »Wir sollten besser drinnen reden«, schlug Morrow vor.
    »Wir können das auch hier erledigen.« Sie drehte sich zu dem Hund um. »Ruhig, Glory!«
    Der Corgi verstummte.
    »Ich weiß, dass er hier war.«
    »Wer denn, bitte?«, fragte Irene mit geübter Gelassenheit. Sie würde es ihm nicht leichtmachen.
    »Was hat er gesagt? Dass er dem Jungen helfen kann?«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest, Dick.«
    Morrow schüttelte den Kopf. »Wir wissen, dass er in Casablanca ist. Wir wissen, dass er mit dem Jungen in Verbindung steht.«
    Irene verschränkte die nackten Arme vor der Brust. »Warum verschwendest du deine Zeit mit mir, wenn du weißt, wo er ist?«
    »Er war bei mir zu Hause. Bei Susan.«
    Ihre grünen Augen blinzelten flüchtig, und Morrow dachte, das wird für uns beide nicht einfach. »Bist du es nicht leid, immer nur der Trostpreis zu sein?«
    Irene wollte die Tür schließen, aber Morrow schob rasch den Fuß dazwischen.
    »Verschwinde von hier«, sagte sie beherrscht.
    »Es ist dumm von dir, ihn zu schützen«, warnte er sie.
    Irene warf einen verächtlichen Blick auf seinen Fuß. Sie war kein Mensch, der sich leicht einschüchtern ließ. »Lieber ein Dummkopf als ein Arschloch«, sagte sie. Dann stieß sie die Tür so unvermittelt und heftig zu, dass Morrow den Fuß zurückziehen musste.
Marokko
    »Jamal!« Kat legte dem Jungen die Hand auf die Schulter und schüttelte ihn heftig. »Wach auf!« Vor der Tür hörte sie gedämpfte Stimmen, Schritte auf der Treppe, mehrere Personen.
    Der Junge setzte sich auf und blickte wild um sich. »Wer ist das?«
    Kat legte den Finger an die Lippen.
    Die Schritte hatten die oberste Etage erreicht und schlurften über den Korridor. Kat erkannte die Stimme der Hotelbesitzerin, halb Algerienfranzösin, halb Marokkanerin, mit der sie am Morgen kurz gesprochen hatte. Die Frau hatte das Dreifache des üblichen Zimmerpreises verlangt, und Kat hatte sich darauf eingelassen, weil sie zu müde zum Streiten gewesen war.
    »Ici«, flüsterte sie. Hier.
    Stille, dann trat die Frau den Rückzug an. Eine Männerstimme, genau vor der Tür. »Jamal?«
    Der Junge warf die Decke beiseite und sprang aus dem Bett. »Mr Harry!«, rief er aufgeregt und stürzte zur Tür. Davor stand eine stämmige, wenig eindrucksvolle Gestalt.
    Mein Gott, dachte Kat, als sie die verknitterte Kleidung und den Dreitagebart bemerkte. Das war nicht die siebente Kavallerie, sondern ein heruntergekommener Weihnachtsmann.
    Der Mann blickte von Jamal zu Kat und schien den Vorbehalt in ihren Augen zu lesen. »Sie müssen Kat sein. Jamal hat mir viel von Ihnen erzählt.«
    Sie nickte.
    »Sie hatten wohl etwas anderes erwartet, was? Keine Sorge, Sie sind nicht die erste Frau, die von mir enttäuscht ist.«
     
    Manar stieg auf einen Hocker und tastete im obersten Fach ihres Kleiderschranks herum. Sie schob die wenigen Habseligkeiten beiseite – Schachteln mit Erinnerungsstücken, alte Schulbücher und Fotos, die ihre Mutter nach der Verhaftung nicht hatte wegwerfen können. Blind suchte sie nach dem Schuhkarton, er musste irgendwo da oben sein. Er enthielt zwei Monatsdosen Beruhigungsmittel, die der Arzt nach Manars Entlassung verschrieben

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