Verschleppt
ließ sich auf die Couch fallen und lehnte sich zurück. Sie konnte aber nicht abschalten. Egal, wie sie sich hinlegte, auf welche Seite sie sich legte, sie konnte einfach keine bequeme Position finden. Kurz überlegte sie, Noah anzurufen, um ihm eine gute Nacht zu wünschen. Die Uhr aber zeigte mittlerweile kurz vor 21 Uhr, Noah schlief also längst. Sie würde ihn morgen anrufen. Sie hatte so viel falsch gemacht, dachte sie. Sie hatte Matt schon verloren, mit Noah durfte ihr das nicht passieren.
Matt und sie lebten mittlerweile seit über zwei Jahren getrennt voneinander, die Scheidung sollte bald folgen – auch wenn niemand das Wort in den Mund nahm. Sie kannten sich seit der Kindheit, waren lange ein Paar und heirateten vor neun Jahren, zwei Jahre später folgte Noah und das Glück schien perfekt. Doch für Sara wurde ihr Job immer wichtiger. Es war wie eine schleichende Sucht, sie konnte nicht anders und arbeitete oft 24 Stunden am Tag bis an den Rand der Erschöpfung. Sie versäumte Weihnachten, Geburtstage, Familienfeiern oder einfach Noah ins Bett zu bringen. Sie war kaum da. Matt machte es lange mit, kämpfte um ihr gemeinsames Leben, aber nichts konnte helfen. Auch Paar- und Einzeltherapien schlugen fehl, letztendlich auch deswegen, weil Sara zu den Terminen nicht erschien, da sie diese vergessen hatte oder zu einem Tatort gerufen wurde. Schließlich entschieden sich beide dafür, getrennte Wege zu gehen. Eigentlich war es Matts Entscheidung, weil Sara zu gar keiner Entscheidung in der Lage war. Sie nahm seinen Entschluss hin - ohne Diskussionen. Sie wusste, dass es das Beste für ihn und Noah sei. Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnten beide mit der Situation einigermaßen gut umgehen, alleine wegen Noah. Beide bemühten sich im Umgang miteinander. Aber Sara war immer bewusst, dass sie der Grund für die Trennung war. Dieser Tatsache musste sie sich jeden Tag stellen. Ihre Lösung, um dieses schmerzhafte Gefühl zu unterdrücken, lag darin, einfach noch mehr zu arbeiten. Noah lebte seit der Trennung bei Matt. Sara hatte regelmäßiges Besuchsrecht, nahm dieses aber immer seltener wahr. Das Klingeln des Telefons riss Sara aus ihren Gedanken, es lag direkt neben ihr auf dem Sofa. Sie schaute auf das Display und sah, dass es ihre Mutter war. Sie überlegte, ob sie drangehen sollte, entschied sich dann aber dagegen, sie war zu müde.
Sara schaltete den Fernseher an und zappte genervt durch die Sender, aber nichts sagte ihr zu. Sie ließ schließlich eine Talkshow im Hintergrund laufen, in der sich zwei Männer gerade an die Gurgel gingen – unter tosendem Applaus des Publikums. Sara machte den Ton aus. Sie legte eine Decke über ihre Beine und versuchte zur Ruhe zu kommen. Aber sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, die heutigen Ereignisse ließen sie wieder mal nicht los. „Dad, was würdest du in dieser Situation machen?“ Diese Frage stellte sich Sara oft, wenn sie einen Fall bearbeitete. Ihr Dad, Max Webber, war ebenfalls Polizist – bis er mit Mitte 40 an einem Herzinfarkt starb. Ganz plötzlich ohne Vorwarnung. Für Sara, damals 19 Jahre alt, brach eine Welt zusammen. Sie hatten ein sehr inniges Verhältnis und er schürte ihre Lust an der Polizeiarbeit, obwohl er das gar nicht wollte. Sie war immer neugierig, schon als kleines Mädchen. Jede freie Sekunde wollte sie mit ihm im Streifenwagen fahren. Später erwischte er sie, als sie sich in sein Arbeitszimmer schlich und heimlich seine Akten durchlas. Da war sie gerade mal 15 Jahre alt. Sie war fasziniert von dem Beruf der Polizistin. Mit 18 verkündete sie ihren Eltern schließlich, dass sie vorhabe, zur Polizeischule zu gehen. Ihr Entschluss führte zu einer handfesten Ehekrise: Ihre Mutter, Dana Webber, war strikt dagegen. Sie hätte sie lieber als Ärztin gesehen. Eigentlich wäre ihr alles lieber gewesen. Alles nur nicht Cop. Ihr Dad konnte ihr schlecht diesen Wunsch verwehren, da dieser Beruf auch seine Leidenschaft war. Nach nächtelangen Diskussionen und heftigen Streitereien hatte Sara letztendlich den Segen von beiden bekommen und die Eltern berappelten sich wieder. Sie führten eine glückliche Ehe, abgesehen von den üblichen Kabbeleien. Max Webber hatte nämlich die besondere Gabe, den Job nicht mit nach Hause zu nehmen. Er konnte Beruf und Privates strikt voneinander trennen, zumindest machte das den Anschein. Sobald er Dienstschluss hatte, war er Vater und Ehemann. Diese Gabe hatte er Sara leider nicht mitgegeben, sie war
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