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Verschleppt

Verschleppt

Titel: Verschleppt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verhoef & Escober
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Heinrich-Braun-Weg.«
    »Drei Straßen weiter«, erklärte seine Frau. Sie legte den Kopf schief und blickte ihn forschend an. »Maria Maier … ja, das ist ganz schön lange her. Die hat sich doch totgesoffen, oder?«
    Maier reagierte nicht.
    »So hieß es damals«, fuhr die Frau fort. Sie kniff die Augen zusammen. »Ende der siebziger Jahre, oder? Vielleicht ein paar Jahre früher … Ich glaube, sie hat ein Kind hinterlassen. Einen Jungen. Er hat sie gefunden, damals. Tragisch.« Es klang nicht so, als hätte es ihr besonders viel ausgemacht. Ohne ihr nunmehr gesteigertes Interesse – oder war es Sensationslust?  – verbergen zu können, fügte sie hinzu: »Oh, wie dumm von mir. Das waren natürlich Sie, stimmt’s? Dieses Kind.«
    »Wissen Sie, wer jetzt nebenan wohnt?«
    »Ein türkisches Ehepaar«, murmelte der Mann und setzte eine säuerliche Miene auf. »Junges Paar um die zwanzig. Sprechen kein Wort Deutsch. Früher gab’s hier nur Zigeuner, jetzt sind hier auch noch Türken. Keine Ahnung, wo die alle herkommen.«
    »Der Mann spricht sehr wohl Deutsch«, sagte die Frau schnell. »Aber sie nicht. Sie schaut einem auch nie ins Gesicht. Ein ängstliches kleines Vögelchen ist das. Wolltest du nebenan klingeln? Vergiss es. Sie macht nicht auf, grundsätzlich nicht. Nur, wenn ihr Mann zu Hause ist. Versuch’s lieber heute Abend noch mal. Es ist hier nicht mehr so wie früher.«
    Unvermittelt hatte sie angefangen, ihn zu duzen. Den Sohn einer alleinstehenden Alkoholikerin brauchte man nicht mit Respekt zu behandeln.
    »Letzte Woche haben sie einen Toten gefunden«, sagte der Mann. »Zwei Häuserblocks weiter. Der Kerl wohnte alleine. Seine Nachbarn wussten nicht mal, wie er hieß, keiner hat ihn vermisst. Ich will nicht wissen, wie lange …«
    Maier hörte schon nicht mehr hin. Hier war anscheinend nichts mehr herauszubekommen. »Vielen Dank noch mal«, murmelte er, wandte sich ab und ging die Treppe hinunter. Kurz darauf fiel oben die Tür ins Schloss.
    Es nieselte. Bei seinem Auto stand eine kleine Gruppe von Jugendlichen. Ein junger Typ drückte mit der Schuhspitze gegen einen der Vorderreifen und schaute erschrocken auf, als Maier mit der Fernbedienung die Zentralverriegelung deaktivierte und die Lampen kurz aufblinkten.
    Er ging zielstrebig weiter, nahm die Jugendlichen gar nicht richtig wahr. Sie wichen auseinander, um ihm Platz zu machen. Maier stieg ein und ließ den Motor an.
    Was hatte er hier finden wollen? Siebenundzwanzig Jahre waren eine lange Zeit.
    Die hat sich totgesoffen , hatte die Frau gesagt. Warum? Leicht war das Leben doch für niemanden gewesen, nicht hier im Hasenbergl. Und seine Mutter hatte einen Sohn gehabt, einen Jungen, für den sie der Mittelpunkt der Welt gewesen war. Hatte ihr das so wenig bedeutet, ihr Leben so wenig bereichert? Oder war es genau umgekehrt, war er selbst der Grund dafür gewesen, dass sie nicht mehr hatte leben wollen? War ihr Sohn die Verkörperung ihres Scheiterns? War die Schande zu groß gewesen?
    Seine Großmutter hatte es gewusst, doch nie darüber sprechen wollen. Auch nicht, als er älter war und seine Fragen nachdrücklicher, schärfer wurden.
    »Manchmal ist die Vergangenheit nichts als Ballast«, hatte sie ein paar Monate vor ihrem Tod gesagt. »Denk lieber nicht darüber nach. Es ist nicht wichtig. Du bist jetzt hier, darauf kommt es an. Sieh zu, dass du es besser machst als ich und deine Mutter. Geh studieren, such dir eine ordentliche Arbeit.« Diesen Ratschlag hatte er sich zu Herzen genommen.
    Doch der Weg der Selbstzerstörung war stets nur einen kleinen Schritt entfernt gewesen. Es zog ihn dorthin. Wie Raucher das Nikotin brauchen, Alkoholiker den Alkohol, so brauchte er Gefahren, Adrenalin. Dass er noch lebte, war eher Glück als Klugheit geschuldet.
    War das erblich? War er mit den Selbstzerstörungsgenen seiner Mutter belastet? Und wie verhielt es sich dann mit der anderen Hälfte? Irgendwo auf der Welt musste sein Vater herumspazieren, falls er noch lebte. Wer war dieser Mann? Wer hatte seine Mutter geschwängert und sie dann sitzenlassen? Vielleicht einer seiner angeblichen Onkel ? Hoffentlich nicht. Allein schon bei der Vorstellung, dass so jemand vielleicht sein Vater war, wurde ihm speiübel.
    Manchmal ist die Vergangenheit nichts als Ballast …
    In Gedanken versunken fuhr er über eine Hauptverkehrsstraße aus dem Hasenbergl heraus. Wo er eigentlich hinwollte, wusste er nicht, und so folgte er schließlich den Schildern

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