Verschleppt
hielt den Kopf schräg. »Ich weiß nicht, ob er solche Informationen überhaupt herausgibt. Man weiß schließlich nie, was mit Adressen hinterher angestellt wird.«
8
Susan Staal wohnte in der Altstadt, im ersten Stock eines renovierten, jahrhundertealten Häuserblocks. Zu ihrer Wohnungstür gelangte man über eine zur Straße hin offene Steintreppe, ebenso zur Nachbarwohnung. Die verkehrsarme Straße vor dem Haus schmiegte sich an eine beeindruckende Kathedrale. Knotige, mit grünem Belag überzogene Wurzeln uralter Bäume drückten die Pflastersteine aus ihren Fugen.
Letzte Woche hatte Wadim hier einen großen, dürren Kerl ein- und ausgehen sehen. Einen Junkie mit langen, orangegelb gefärbten Haaren und hängenden Schultern. Ab und zu war eine Tussi dabei gewesen. Nicht Susan Staal.
Die schien umgezogen zu sein, genau wie Maier. Und das war nervig.
Die Adressen sowie ein paar Fotos von Maier und seiner Freundin hatte er vor gut einem Jahr bekommen, mit dem Auftrag, Maier aufzuspüren, das Geld sicherzustellen, das dieser der Organisation entwendet hatte, und ihn dann zu liquidieren. Weitere Informationen hatte er nicht bekommen.
Wadim hatte sich bereits auf eine mühsame, frustrierende Suche mit unsicherem Ergebnis eingestellt, doch dann stand gestern Abend auf dem für Susans Kennzeichen reservierten Parkplatz plötzlich ein Auto. Ein kleiner schwarzer Geländewagen.
Mit frischer Energie hatte Wadim wieder Posten bezogen, die ganze Nacht über, an der Rückseite des Häuserblocks. Reglos. Unsichtbar. Genau wie er es gelernt und hundertfach praktiziert hatte.
Um Viertel vor drei war bei den Flügeltüren der Terrasse ein Schemen aufgetaucht. Wadim hatte den Infrarotscheinwerfer seines Nachtsichtgeräts eingeschaltet und prompt ein klares, scharfes Bild bekommen.
Die Frau, die dort im ersten Stock die Stirn an die Glasscheibe presste, war Susan Staal.
Am Morgen, als sie zu ihrem Auto ging, hatte er dann die Gelegenheit gehabt, sie bei Tageslicht in Augenschein zu nehmen. Halblanges braunes Haar, voll und glänzend. Dunkle, relativ große Augen. Vom Körperbau her etwas grob, insgesamt aber durchaus nicht unappetitlich in ihrer engen Jeans. Sie hatte allerlei Apparate und Stative in ihren Wagen geschleppt und war losgefahren. Besonders fröhlich hatte sie nicht ausgesehen.
Wadim rührte sich nicht vom Fleck. Ließ den Blick aus seinen kalten graugrünen Augen über die Fassaden der Häuser gleiten. Nur einige Fenster gingen auf diese Einbahnstraße hinaus, und tagsüber parkten hier nur wenige Wagen. Lauter Pendler, während der Büroarbeitszeit war die kleine Straße völlig ausgestorben.
Ganz leicht legte sich Wadims Gesicht in Falten. Der Anflug eines Lächelns trat auf seine Züge, um im nächsten Moment einer ausdruckslosen Maske zu weichen.
9
»Einen Augenblick, bitte. Warten Sie hier.« Die blonde Frau stand vom Schalter auf und verschwand durch eine Tür in der Holzwand.
Maier hakte die Daumen in die Taschen seiner Jeans. Das Interieur sah ungefähr so aus, wie er es erwartet hatte: glänzende Grabsteine, Kränze, Trauerbänder, Porzellantöpfe und Blumengestecke. Viele Rosen und Lilien. Trotz der mächtigen Panoramascheibe, die sich über die gesamte Länge des Verkaufsraums zog, war es drinnen finster. Die dunkle Decke und holzverkleideten Wände verstärkten die Grabesstimmung noch. Die Gärtnerei hatte wirklich alles dazu getan, auf keinen Fall auch nur den Hauch von Fröhlichkeit auszustrahlen.
Der Tod war eine ernste Angelegenheit.
Er sah auf die Uhr. Acht Minuten. Musste die Frau ihren Chef erst noch ausbuddeln?
Maier fing an, vor dem Schalter auf und ab zu gehen, und strich dabei mit der Hand über die glatten, kalten Natursteine. Obschon in dezentem Braun gehalten, wiesen sie unruhige Muster auf, die ihn an Wetterkarten voller aktiver Tiefdruckgebiete erinnerten. Draußen kamen unablässig Autos an oder fuhren wieder ab, durch die getönte Scheibe gelblich eingefärbt. Geräusche von der Straße drangen so gut wie gar nicht in den Verkaufsraum vor.
Neun Minuten.
Dass sie den Namen und die Adresse eines ihrer Kunden nicht ohne Weiteres herausgeben würden, konnte er sich vorstellen. Nüchtern betrachtet waren sie ihm natürlich nichts schuldig. Das hier war ein Geschäft, keine karitative Einrichtung.
Aber es ging immerhin um das Grab seiner Mutter.
Hesselbach begleitete seinen Auftritt mit einer Menge Husten und Schnaufen. Ein konservativ wirkender, schlanker
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