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Verschleppt

Verschleppt

Titel: Verschleppt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verhoef & Escober
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bisschen umzuschauen. Wenn er sich von diesem Landgut einen besseren Eindruck verschafft hatte, konnte er weitersehen.
    Er wollte sich gerade auf den Weg machen, als er bei dem kleinen Gebäude eine Bewegung wahrnahm. Zwei Männer kamen direkt auf ihn zu. Der eine war auffällig klein und drahtig. Er hatte eine klassische Gangstervisage: spitzes Kinn, riesige Nase und tief liegende, hellblaue Augen. Der andere war von hohem Wuchs mit kerzengeradem Rücken. Beide mussten weit über siebzig sein, und doch nötigten ihre Haltung und Ausstrahlung Maier Respekt ab.
    Der Größere blieb etwa einen Meter vor ihm stehen, die gestreckten Finger an einen Stehkragen oder eine Art Verband gelegt, den er am Hals trug, und blickte Maier forschend an. »Vous êtes?« Sein Französisch hörte sich an wie bei einem alten Roboter, ein elektronisches Krachen.
    Maier verstand ihn nicht und schaute ihn begriffsstutzig an.
    Der Mann drückte noch einmal auf seinen Kragen. »Vous êtes?« , wiederholte er.
    »Entschuldigung«, sagte Maier auf Deutsch, »ich spreche kein Französisch.«
    Daraufhin übernahm der Kleinere die Gesprächsführung. Ergriff Maiers Hand und schüttelte sie kräftig. »Guten Abend«, sagte er auf Deutsch. »Suchen Sie etwas oder jemanden? Wir schließen nämlich gleich.«
    Maiers Blick wanderte vom einen zum anderen. »Ich wollte mich nur ein bisschen umsehen. Geht das?«
    »Dafür ist es jetzt eigentlich ein bisschen spät.« Der Kleinere wich ein Stück zurück, um ihn zu mustern. »Woher kommen Sie?«
    »Von überall und nirgends.«
    Der Lange grinste. »Nirgends«, wiederholte er, die Finger an den Hals gedrückt.
    Maier sah auf. »Sie sprechen auch Deutsch?«
    »Französisch ist hier Pflicht. Aber seine Muttersprache vergisst man nicht einfach.«
    »Sie sind Deutscher?«
    »In der Tat.« Er sagte es nicht so, als wäre er besonders stolz darauf, eher im Ton einer Feststellung, mehr nicht.
    »Und Sie leben hier?«, fragte Maier.
    Der Lange reagierte nicht.
    »Wir leben fast alle hier«, sagte der Kleine. »Ich bin in Wallonien zur Welt gekommen, aber das ist lange her. Danach habe ich überall eine Weile gelebt. Die Leute kommen aus allen Landstrichen Europas.« Er berührte seinen hochgewachsenen Gefährten am Arm. »Dieser große Mann hier ist mein Freund. Er kommt aus Düsseldorf.«
    Maier lächelte höflich. »Was ist das hier genau?«, fragte er und ließ den Blick über die Gebäude wandern, die sie umringten. »Dieses Anwesen?«
    Es entstand ein peinliches Schweigen. Der Lange hatte noch nicht ein einziges Mal gelacht. Je länger sein Blick auf Maier ruhte, desto unsicherer fühlte dieser sich werden. Wie eine Aura umgab diesen Mann seine Kampferfahrung. Er mochte alt und krebskrank sein, aber er war nicht gebrochen. Und noch immer wirkte er äußerst gefährlich.
    »Sie kommen woher noch mal?«, erklang wieder die Elektrostimme.
    »Aus den Niederlanden.«
    Der Langwüchsige schloss kurz die Augen, was anscheinend eine Geste der Wertschätzung war.
    Der Platz lag mittlerweile zur Gänze im Schatten der Gebäude. Hinter den Männern gingen ein paar Straßenlaternen an.
    »Wir schließen gleich«, sagte der Größere. »Publikumseinlass ist wieder ab morgen früh um neun.« Er ließ eine kurze Pause entstehen, in der er sein Gegenüber musterte. »Es sei denn, Sie suchten jemand Bestimmten. Das wäre etwas anderes …«
    Maier schüttelte den Kopf und wich dem Blick des anderen aus. »Ich bin im Urlaub. Ich habe die Schilder an der Straße gesehen und war neugierig.«
    »Natürlich«, sagte der Größere unterkühlt.
    »Kommen Sie doch morgen früh wieder«, sagte der Kleine und drückte Maier die Hand.
    »Das werde ich tun. Haben Sie vielen Dank.« Maier verzichtete darauf, sich auch von dem Langen zu verabschieden. Er wandte sich um und verließ den Platz.
    Während er zu seinem Auto ging, spürte er die stechenden Blicke der gealterten Soldaten im Rücken.
     

31
     
    Mit dem Rücken an der Wand seines Hotelzimmers rutschte Wadim langsam herunter, bis seine Oberschenkel sich in horizontaler Position befanden. Er verschränkte die Arme und lehnte den Kopf an die gestreifte Tapete. Es sah aus, als säße er aufrecht auf einem imaginären Stuhl. Eine hervorragende Übung.
    Ein Fernseher lief leise gestellt. Wadim schielte aus dem Augenwinkel hinüber. Auf der Mattscheibe war ein englischer Armeekoch zu sehen, der gerade seine Rekruten zusammenbrüllte und antrieb. Die Kombination aus seinem

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