Verschleppt
Was willst du noch hören? Ich weiß nämlich verdammt viel über dich.«
»Quatsch.«
Sie grinste freudlos. »Das würde ich an deiner Stelle auch sagen.«
»Und was ist die gute Neuigkeit?«
»Ich bin als Privatperson hier. Dein Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben. Es ist nie eine offizielle Akte angelegt worden.«
»Und warum nicht?«
Joyce nahm die Fotos, steckte sie wieder in den Umschlag und in ihre Tasche. »Weil ich es nicht wollte. Ich hatte die Vermutung, dass diese Kenntnisse und Beweise mir irgendwann von Nutzen sein würden.«
Er nahm einen Schluck Kaffee und sah sie prüfend an. »Erzähl.«
»Zunächst dies: Offiziell bin ich gar nicht mehr im Einsatzdienst tätig. Die Leitung hat mich vor ein paar Monaten wegen einer Lappalie auf einen Verwaltungsposten versetzt. Möglicherweise kann ich irgendwann zu meinem alten Team zurück, aber vorläufig steht das noch nicht zur Debatte. Folglich darf ich keine Waffe mehr tragen und mich in laufende Ermittlungen nicht mehr aktiv einmischen. Ich spreche mit keinen Verdächtigen, ich mache keine Festnahmen.« Der Bericht kostete Joyce einige Mühe. Und er kostete Zeit, die Uhr tickte unaufhörlich weiter. Es gab noch so viel anderes zu tun, wenn sie ihn erst auf ihre Seite gezogen hätte. Aber es war von größter Wichtigkeit, dass sie ihr Anliegen so deutlich wie möglich zum Ausdruck brachte. Nur dann würde Maier nicht zu viele Fragen stellen.
Sie wollte, dass er ihr vertraute. Im Wesentlichen konnte er das auch. Sie erzählte ihm größtenteils die Wahrheit. Aus purem Selbstschutz musste sie einen Teil für sich behalten.
»Was hast du denn getan?«
»Ich habe vor zwei Monaten bei einem Verhör jemandem meine Pistole an den Kopf gehalten. Es war ein berüchtigter Krimineller. Hatte immer eine Knarre dabei. Hundertzwanzig Kilo purer Verdorbenheit.« Ein Schatten legte sich über ihr Gesicht. »Den Kerl einen Hund zu nennen, wäre eine Beleidigung für die Spezies. Zweimal wegen Vergewaltigung verurteilt, zum letzten Mal vor etwa acht Jahren. Damit hatte er bestimmt nicht einfach aufgehört, so was weiß man ja, dafür hat man ein Gespür. Solche Typen bleiben nicht von einem Tag auf den anderen brav bei ihrem Frauchen zu Hause sitzen. Er war nur schlauer geworden, ausgefuchster. Gefährlicher. Wir hatten seine zurückgelegten Wege nachvollzogen und festgestellt, dass er allein im vergangenen Jahr dreimal auf Urlaubsreise in Thailand gewesen war. Aber das allein sagt ja leider noch nicht besonders viel aus, jedenfalls nicht vor Gericht. Urlaub in Thailand zu machen ist schließlich nicht verboten. « Sie gab ein frustriertes Knurren von sich. »Am liebsten hätte ich diesem Stück Scheiße eine 9-mm in den Schädel gejagt, damit er zu tot gewesen wäre, um mir zu widersprechen, mich anzuspucken und mir dreckige Kommentare an den Kopf zu werfen … Aber ein Kollege hat eingegriffen.«
Es waren nur minimale Veränderungen in der Körperhaltung und in den Zügen um seine Mundwinkel, seine Augen. Aber sie entgingen ihr nicht. Darauf war sie trainiert.
Er hing an ihren Lippen.
»Warum erzählst du mir das?«, fragte er.
Joyce riss ein Tütchen auf und ließ den Zucker in ihren Kaffee rieseln. In Ermangelung eines Löffels schwenkte sie den Becher in der Hand. »Ich glaube, es ist wichtig.«
»Wichtig?«
»Dass du den Kontext kennst.«
»Ach, das gehört alles noch zur Einleitung?«, fragte er sarkastisch.
Sie legte die Unterarme auf den Tisch und ging über seine Bemerkung hinweg. »Es gibt da so einen Laden in Eindhoven, beim Bahnhof. Ein Bordell ohne Namen, wo man unangemeldet gar nicht reinkommt. Das Haus und die Frauen, die da arbeiten, sind in den Händen von Maxim Kalojew. Geboren und aufgewachsen in Odessa, Ukraine. Im Frühling haben wir dort mit einer Spezialeinheit eine Razzia durchgeführt, weil wir Hinweise auf Zwangsprostitution hatten. Sechs Frauen waren da drin, fünf von ihnen unter zwanzig. Aber wir konnten nichts beweisen, und Kalojew hat uns glatt ausgelacht.«
Joyce versuchte, so ruhig wie möglich zu bleiben, aber das Gefühl drohte sie zu überwältigen. Zu tief hatte die Geschichte sie berührt. Ein Blinder mit Krückstock konnte erkennen, was sich zwischen diesen vier Wänden abspielte, aber vor Gericht hätte man nichts beweisen können. Die Frauen selbst wollten keine Anzeige erstatten. Sie hatten zwar überall blaue Flecken, undefinierbare Brandwunden in der Leistengegend, Brandmale an den Fußsohlen, Schwellungen und
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