Verschleppt
nicht. Kurz hatte es sie beunruhigt. Aber nun stand er da und setzte Kaffee auf, womit das ärgste Misstrauen überwunden schien.
Erst jetzt kam sie dazu, ihn in aller Ruhe zu betrachten. Jeans, Wanderschuhe und ein beigefarbenes Baumwollhemd ohne Aufdruck, die Ärmel ein wenig aufgekrempelt. Breite Schultern, gerader Rücken. Er war gut gebaut. Sehr gut sogar.
Sie riss den Blick von Maiers Rücken los und sah auf die Uhr. Zehn nach acht. In einer knappen Stunde wollte sie im Auto sitzen und in die Niederlande zurückfahren – und zwar mit Maier. Über Land würde es zwar länger dauern, aber mit ihm zusammen ein Flugzeug zu besteigen, wäre zu unvernünftig. Sie musste damit rechnen, dass die Sache eskalierte, und in dem Fall wären die Daten von Flugpassagieren ohne Weiteres nachzuvollziehen. Am praktischsten war es, sich von ihm im Auto mitnehmen zu lassen. Dann brauchte sie selbst so wenig wie möglich auf der Bildfläche zu erscheinen und konnte ihn während der zehn bis elf Stunden dauernden Tour näher kennenlernen. Den Schlüssel ihres C konnte sie bestimmt irgendwo hier hinterlegen. Zur Not konnte auch Brigitte den Wagen zu Hertz zurückbringen.
Allerdings musste Maier mitspielen. Noch verlief das Gespräch alles andere als flüssig. Er war ständig auf der Hut und sehr schwer einzuschätzen. Sie konnte sich gut vorstellen, dass auch alte Kripo-Hasen sich die Zähne an ihm ausbissen.
Aber darauf war sie vorbereitet.
Mit zwei Bechern in den Händen drehte er sich zu ihr um. Er stellte sie auf dem Holztisch ab, nahm ein paar Zuckertütchen von der Anrichte und warf sie dazu. Setzte sich ihr gegenüber. Stützte die Ellbogen auf den Tisch und sah sie eindringlich an. »Also. Raus mit der Sprache.«
Joyce bückte sich, öffnete das eine Seitenfach ihrer Sporttasche und holte einen braunen Pappumschlag im A5-Format heraus. Darin befanden sich einige Fotos, die sie ihm über den Tisch hinschob. »Sieh dir die mal an.«
Maier zog die Fotos zu sich heran. Das oberste war schwarzweiß, ein grobkörniger Abzug auf Glanzpapier. Es sah aus wie mit einer Infrarotkamera aufgenommen, die Kontraste wirkten wie nachbearbeitet. Das Objekt selbst war allerdings deutlich zu erkennen: ein Mann mit Biwakmütze neben einem Allrad-Motorrad, der Helm lag auf dem Sitz. In der Hand hielt er eine Pistole mit aufmontierter, breiter Verlängerung: ein Schalldämpfer. Das Kennzeichen des Motorrads war deutlich zu erkennen. Auf dem nächsten Foto war derselbe Mann mit demselben Motorrad zu sehen, nur trug er diesmal einen vollen Rucksack. Auf dem dritten hockte er auf den Fersen auf einer Fensterbank, wiederum maskiert, die Pistole im Anschlag.
Maier blickte kurz auf. Sein Gesicht verriet keinerlei Regung.
»Wir haben das auf Film«, erklärte Joyce. »Das hier sind ein paar stills daraus.«
Er reagierte nicht.
»Venlo, Club 44«, fuhr Joyce fort. »Letztes Jahr im Oktober. Die Daten stehen hintendrauf.«
Maier nahm das nächste Foto vom Stapel. Ein Zimmer mit umgeworfenen Möbeln. Auf dem Boden ein korpulenter Mann im Anzug, seine Augen zur Decke starrend. In seinem Wangenknochen klaffte ein rundes Loch, ebenso auf Herzhöhe. Um Kopf und Rumpf eine Blutlache, im Kunstlicht sanft glänzend, wie eine pechschwarze Aura.
»Der Mann müsste dir bekannt vorkommen, oder?«, fragte Joyce.
Keine Reaktion. Maier zwinkerte nicht einmal mit den Augen. Flüchtig schaute er auch die restlichen Fotos durch, legte sie dann wie ein Kartenspiel zu einem Stapel zusammen und schob sie wieder zu Joyce hinüber.
Nahm seinen Becher vom Tisch und trank einen Schluck.
Sagte kein Wort.
Er schien die Ruhe selbst. Einfach nur ein Mann, der am Küchentisch seinen Kaffee trinkt und in Gedanken die Ereignisse des Tages Revue passieren lässt.
Seine Unerschütterlichkeit beunruhigte sie. Im Rahmen ihrer Arbeit und auch außerhalb davon hatte sie oft genug mit Menschen zu tun gehabt – vor allem mit Männern –, die aus irgendwelchen Gründen unfähig schienen, Reue zu empfinden oder Gefühle zu zeigen. Die Fähigkeit zur Empathie war nicht jedem gegeben. Wo man auch hinkam, es wimmelte nur so von Psychopathen. Die meisten lebten sich unauffällig und weitgehend unschuldig in der Wirtschaft aus. Rücksichtslose Ratten in Führungsfunktionen, mit Krawatte und schnellem Zungenschlag.
Es gab auch Psychopathen mit anderen Interessen. Ihr Wirken war schädlicher, düsterer. Manchen ging es nicht primär um Geld oder Status, sondern um andere Kicks: um
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