Verschleppt
brachte nichts. Ruhiges Durchatmen und Konzentration schon.
»In meinen Augen bist du, Joyce Landveld, eine tickende Zeitbombe. Jemand, der so viel über mich weiß, heimlich Akten über mich anlegt und meine Bankkonten kontrolliert … das fühlt sich nicht gut an. Gar nicht gut, kann ich dir sagen. Es hat was von Stalking, nicht wahr? Wirkt ein bisschen zwanghaft.« Er beugte sich vor und brachte sein Gesicht an ihr Ohr.
Er kam ihr jetzt sehr nahe. Sie konnte seinen Körpergeruch wahrnehmen, seinen Herzschlag hören, sein Atem strich über ihr Ohr und die Wange.
»Du bist ein bisschen neben der Spur, Kleine. Du tickst nicht ganz richtig, wenn du glaubst, dass ich mit dir zusammen in die Niederlande fahre, damit wir uns da ein paar Russen vorknöpfen. Warum sollte ich? Ich hab noch was anderes vor.«
Im Bruchteil einer Sekunde hatte er ihren Arm gegriffen, bog ihn auf ihrem Rücken nach oben und verdrehte ihn so, dass ihr Oberkörper auf die Tischplatte knallte. Mit der anderen Hand zog er das Pfefferspray aus ihrer Jackentasche. »Zum Beispiel mit dir kurzen Prozess zu machen«, sagte er bissig.
Sie wehrte sich nicht. Lag still, auf dem linken Ohr, den Blick starr auf das weiße Bett gerichtet.
»Was sollte mich davon abhalten?«
»Susan Staal.« Es klang wie ein Schluchzen.
»Was?«
»Sie wird dort festgehalten, in diesem Haus in Eindhoven, in diesem Bordell.«
Er ließ sie urplötzlich los, als ob sie unter Strom stünde, und war mit ein paar Schritten wieder auf seiner Seite des Tisches, das bearbeitete Eichenholz wie ein Puffer zwischen ihnen. Das Spray verschwand beiläufig in seiner Tasche.
Forschend flitzten seine Blicke über ihr Gesicht, wie Laserstrahlen. »Das quatschst du nur so daher.«
»Das tu ich nicht, verdammt!« Sie zog die aus der CIE-Akte stammende Farbkopie aus ihrer hinteren Hosentasche, faltete sie auseinander und legte sie in die Mitte des Tisches. »Das habe ich letzte Woche von einem Informanten bekommen, der vor Ort gewesen ist. Seiner Auskunft nach ist das eine der Frauen, die dort festgehalten werden.«
Maier starrte auf das Bild. Er reagierte nicht.
Die Fotos, die Wadim geschickt hatte, steckten in der Sporttasche neben ihr auf dem Boden. Sie schienen zu brennen, riefen nach ihr, zogen an ihren Beinen wie quengelnde Kinder, aber sie wollte sie erst dann hervorholen, wenn es ihr anders nicht gelänge, Maier zu überzeugen. Sie waren derart schockierend, dass er, wenn er diese Frau wirklich liebte, leicht von Emotionen überwältigt werden konnte und dann womöglich völlig außer Kontrolle geriet.
Es erwies sich als nicht nötig.
Zum ersten Mal huschte etwas über sein Gesicht, das auf Betroffenheit hindeutete, auf Beunruhigung. Nur ganz kurz, dann war es wieder verschwunden.
»Wo befindet sich dieses Gebäude?«, fragte er bloß und zeigte damit, dass er bereits drei Schritte weiter war als ein anderer an seiner Stelle gewesen wäre.
Es gab nicht viele Menschen, die wie Sil Maier eine scharfe Intelligenz mit Härte und Intuition zu verbinden wussten. Sie beneidete ihn darum. Seit sie angefangen hatte, ihn zu beobachten, beneidete sie ihn. Um sein Geld, sein Flair, seine Gewinnermentalität. Um alles, was er tat und was sie nicht wagte oder nicht konnte. Und zugleich machte es ihr Angst.
Mit ein paar Schritten war er wieder bei ihr und umklammerte ihr Gesicht mit den Händen. Seine Augen schienen Funken zu sprühen. » Wo , hab ich gefragt!«
Joyce versuchte, ihren Kopf wegzuziehen. »Lass mich los, verdammt! Wir machen das zusammen. Die Waffen liegen bereit, das Gebäude ist vorbereitet, ich habe alles vorbereitet. Ich weiß, wie, wo und wann wir da reinkommen und wer drinnen sein wird, alles.«
Sein Griff erschlaffte. »Zusammen? Du spinnst ja wohl.«
Sie sah ihn mit fiebrigem Blick an. »Wenn du das alleine machen willst, brauchst du mehrere Wochen, um dir diese Infos zu verschaffen, und so viel Zeit hast du nicht.«
Er ließ sie los, drehte sich um und begann, hastig seine Sachen zusammenzusuchen. »Pack deine Tasche und deinen sonstigen Krempel«, hörte sie ihn sagen. »Wir fahren los.«
Joyce sah auf die kleine Uhr neben dem Bett.
Es war halb neun.
47
Die Tür wurde zögerlich geöffnet. Susan blinzelte, helles Licht fiel in den dunklen Raum. Mit dem Licht kam auch frische Luft. Luft, die nicht nach Urin und altem Schweiß stank.
Im Türrahmen erschien eine Frau. Sie schaltete das Neonlicht ein und gab sich wenig Mühe, ihre Reaktion auf
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