Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
endet die Reise auf
vier Rädern.
In Gao endet
das Buschland der Savanne.
Ab Gao beginnt
die Wüste.
Ab Gao werden
Flüchtlinge gejagt.
Hadés Trolley
Akpan kennt die Stadt im Osten Malis, wo sich die Wege der westafrikanischen Menschenhändler
und ihrer Ware auf dem Weg nach Europa kreuzen. Viele wählen auch den Weg über Agadez
in Niger nach Tripolis in Lybien, doch Mahama bevorzugt für seine Frauen die Route
über Mali und Algerien nach Tanjah in Marokko, dort kennt Akpan fast jeden Kapitän,
der bereit ist, Lebendware nach Spanien zu bringen.
Für Reisende
aus dem Norden endet in Gao die Tanezrouft-Piste durch die Sahara. Für Flüchtlinge
aus dem Süden beginnt hier der Fußmarsch durch die Wüste.
Akpan versteckt
Hadé, Sema und die anderen aus dem VW-Bus in einem Camp außerhalb der Stadt. Es
ist die Sammelstelle für Nigerianer, eine Art Freigehege, von morschen Brettern
eingezäunt, versteckt am Rande der Sahara, ein Menschenlager, ein Point of no Return
vor dem grausamen Weg durch den ewigen Sand.
In der Stadt
am Niger ist man auf die Flüchtlinge vorbereitet. Viele Menschen aus Gao leben sogar
davon. Doch sicher ist man nur in den bewachten Verstecken. Der Aufseher des nigerianischen
Flüchtlingscamps ist ein Mann namens Bamenu aus Kontagora im Norden Nigerias. Er
lässt sich von ihnen Patron nennen. Sich außerhalb des Bretterzauns aufzuhalten
ist für Hadé und ihre Schwester extrem gefährlich, denn sie sind illegal in Mali.
Wen die Polizei aufgreift, wird ohne Schonung nach Niger deportiert, die Männer
geschlagen, die Frauen vergewaltigt, sagt Bamenu. Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa
sind in Gao Freiwild.
Hadé und
ihre Schwester lernen schnell, dass es gut ist, sich unter den Schutz des Patron
zu stellen. Über ihn bekommen sie zu essen, zwar meist nur Suppe oder Hirsebrei
oder an guten Tagen das Auge einer Ziege oder Innereien eines Huhns, und er organisiert
im Auftrag von Akpan den Tuaregführer für den Weg nach Norden.
Der Weg
durch die Wüste ohne Führer ist ein Weg in den Tod. Doch die Tuareg kosten Geld,
und jeder, der aus Gao weg will, muss dafür bezahlen. Hadé hat schnell verstanden,
dass sie auch hier nur eine Chance hat, um zu Geld zu kommen: sie muss abermals
ihren Körper verkaufen.
Das ist
nicht schwer, denn schon am ersten Abend hat Akpan sie zu Freunden gebracht, die
in düsteren Hütten auf die Frauen warten. Nach einem Monat in Gao hört Hadé auf,
die Tage zu zählen. Die Männer, von denen sie sich besteigen lässt, hat sie schon
lange nicht mehr gezählt. Nur das Geld ist wichtig.
Eines Abends
kommt Akpan mit einem Targi ins Lager und stellt ihn als ihren Führer durch die
Wüste vor, den man im Voraus bezahlen müsse. Akpan hat das Geld einbehalten, das
die beiden Frauen in Gao zusammengebracht haben, und meint, damit könne die Reise
nun fortgesetzt werden. Noch vor Sonnenaufgang brechen sie aus Gao auf.
Zu Fuß.
Hadé und
Sema reihen sich ein in einen Tross von über 70 Menschen, die meisten davon Frauen,
fast alle aus Lagos, Ogun, Ekiti, aber auch aus Kwara und Kebbi. Jede trägt das
Wasser und das Fladenbrot, das der Patron Bamenu ihnen als Proviant mitgegeben hat.
Akpan hat auch die Kosten dafür auf die Rechnungen von Mahamas Schützlingen gesetzt.
Die Frauen und Männer sprechen Yoruba, Hausa und Nupe, sind Christen oder Muslime.
Aber sie alle haben ein Ziel: Europa.
Hadé hat
sich ihren langen Iro über die Buba gestreift und ihre besten Schuhe angezogen.
Alle anderen Kleider lässt sie zurück. Eine Frau mit einem auffallenden roten Iro,
gut einen Kopf kleiner als sie und vielleicht fünf Jahre jünger, die sie schon in
den Wochen im Lager immer wieder beobachtet hat, kommt auf sie zu und flüstert etwas
von Wasser und Brot.
»Ich kann
nicht weg von hier, weil ich kein Geld mehr für den Proviant habe. Den Führer habe
ich bezahlt«, sagt sie mit leiser Stimme.
»Wie heißt
du?«
»Corinne.«
»Hast du
keinen Trolley, der dir das Geld dafür gibt?«
»Nein. Der
Mann, der meine Reise finanziert, ist mit meinem Geld verschwunden, nachdem er mich
über die Grenze nach Mali gebracht hat. Seither habe ich Hunger. Und mein Körper
ist zu müde, um mit ihm Geld zu verdienen.«
Hadé winkt
Bamenu herbei und fordert einen weiteren Fladen und eine Kalebasse. Sie händigt
dem Patron dafür die letzten Geldscheine aus, die sie noch vor Akpan versteckt hat.
Corinne bedankt sich mit einem Lächeln und Tränen in den Augen.
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»Meinst du, dass diese
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