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Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Titel: Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edi Graf
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Menschenkenntnis. Der Taxifahrer
trug einen langen hellbraunen Boubou, und der Preis, den er für die Fahrt zum Hotel
nannte, war in Ordnung. Er sprach sehr gut Englisch und fuhr routiniert im dichten
Verkehr der breiten autobahnähnlichen Straße, überholte auf beiden Seiten, meistens
laut hupend, und Alan hatte das Gefühl, in einem Autoscooter zu sitzen.
    Die Stadt
machte einen erbärmlichen Eindruck. Müll und Dreck an den Straßen, soweit das Auge
reichte. Bretter, die über Schlammsuhlen führten, waren die Wege, breite Bretter
dienten als Straßen. Der Geruch, der durch das halb geöffnete Fahrerfenster ins
Innere des Taxis drang, war eine Mischung aus Paraffin, verbranntem Müll, Fäulnis
und Urin. Der Junge am Steuer lachte fortwährend, erzählte mit Stolz von seiner
Stadt, und Alan bekam einige Informationen, die ihm für seinen Auftrag nützlich
schienen.
    »Musst du
raus aus der Stadt, White Man?«, fragte er.
    »Mal sehen,
weiß noch nicht«, antwortete Alan.
    »Wir haben
überall Straßensperren. Baumstämme mit Nägeln. Wegen der Überfälle kontrollieren
sie alle paar Kilometer.«
    »So heftig
ist das?«
    Der Fahrer
nickte. »Die Banden halten die Busse an und nehmen die Leute aus, die mitfahren.
Auf manchen Straßen passiert das jede Woche. Vor allem bei Stau!«
    Alan schwieg,
zumal der Verkehr gerade stockte. Er versuchte, die Tür zu verriegeln, doch das
Schloss funktionierte nicht. Um dem Elektroschrotthandel auf die Spur zu kommen,
musste er sich noch in weitaus gefährlichere Gefilde wagen. In das Herz des Molochs.
In die Slums, zu den Müllhalden, in die Häfen.
    »Bleibst
du lange in Lagos, White Man?«, fragte der junge Taxifahrer wieder.
    »Mal sehen.
Weiß ich noch nicht. Und du? Fährst du schon lange Taxi?«
    Der Junge
lachte.
    »Ja. Zusammen
mit meinem Bruder. Ich bin froh, dass ich diesen Job hab. Und du, White Man? Machst
du Geschäfte?«
    »Kann man
so sagen.« Alan legte eine Spur. »Elektrogeräte.«
    »Gebraucht?«,
fragte der Fahrer.
    »Sowohl
als auch. Wie heißt du eigentlich?«
    »Johnny
Cash.«
    Alan musste
sich ein lautes Lachen verkneifen.
    »Also gut,
Johnny Cash. Ich heiße Alan. Wenn ich Händler für gebrauchte PCs suche, wohin würdest
du mich schicken?«
    »Ikeja.
Da gibt es mehr Elektroschrott als sonst wo auf der Welt.«
    »Würdest
du mich hinfahren?«
    »Warum nicht,
White Man? Wann?«
    »Morgen.
Ich rufe dich an.«
    Johnny Cash
nickte und fischte eine handgeschriebene Visitenkarte aus einer Ablage über dem
Armaturenbrett. Dabei sah er Alan grinsend an und starrte auf seine Legionärsmütze.
    »Was ist
– gefällt dir meine Kappe nicht?«
    »Doch. Die
ist echt cool. So was kriegst du bei uns nicht. Wo hast du die her, White Man?«
    »Aus Kenya.
Ist echt praktisch bei den Safaris. Der ganze Kopf und die Augen haben Schatten,
und das Genick auch.«
    »Ja, genau,
echt cool, White Man!«, wiederholte er.
    Alan nahm
die Mütze ab und setzte sie Johnny Cash auf.
    »Hier, schenk
ich dir!«, sagte er und grinste. »Steht dir gut!«
    »Hey, Mann, Danke! Cool, cool, cool! Brauchst
du sie nicht mehr?«
    »Ich kann
mir ’ne Neue kaufen. Außerdem hab’ ich noch mindestens drei Stück daheim.«
    »Und hier?«
    Alan höhnte:
»Falls es die Sonne mal schafft, sich einen Weg durch euren Smog zu bahnen, hab’
ich Ersatz in meinem Rucksack.«
    »Danke,
Mister Alan«, sagte Johnny Cash und reichte ihm die Hand. »Du bist wie einer von
uns. Kein White Man!«
    Über mehrspurige
Autobahnen, die wie verknotete Riesenschlangen von Ikeja auf die Inseln führten,
erreichten sie das Hotel. Es lag auf Lagos Island, einer der vier großen Inseln,
über die sich die Millionenstadt am Golf von Guinea, der ehemaligen Sklavenküste,
erstreckt.
    Alan verabschiedete
sich von dem Jungen und bezog ein kleines, einfaches Zimmer, in dem es nichts gab
als ein breites Doppelbett mit durchgelegenen Matratzen.
    An der Rezeption
hatte man ihm eine Taschenlampe in die Hand gedrückt, denn es gab wohl im Augenblick
keinen Strom. Als er die knarrenden, mit einem abgewetzten Teppich belegten Holztreppen
emporstieg, leuchteten in jedem Stockwerk Kerzen in den Flurfenstern.
    Alan wischte
sich rasch mit einem Feuchtigkeitstuch den Staub aus dem Gesicht, da selbst kaltes
Wasser nicht aus der Leitung kam, putzte sich mit Whisky oberflächlich die Zähne
und fiel bald in einen unruhigen Schlaf, aus dem er immer wieder erwachte, die verblichenen
Bilder aus den Slums von Nairobi vor Augen …

31
     
    In Gao

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