Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
Nairobi hatten ihn die ganze Nacht verfolgt,
mal war er wach gelegen und hatte an die Decke gestarrt, während die Erlebnisse
von Mathare Valley wie ein Film vor seinem geistigen Auge abliefen, dann wieder
in einen unruhigen Schlaf gefallen, in dem sich Bilder aus der realen Vergangenheit
mit wilden Träumen mischten.
Die Vibration
des Handys auf dem Fensterbrett, wo er es in der Nacht abgelegt hatte, klang wie
das nervige Rattern eines Bohrers. Scott hievte sich aus dem Bett, angelte nach
dem Telefon und stolperte dabei über die Taschenlampe, die er in der Nacht einfach
auf den Boden geworfen hatte.
Er sah nicht
auf das Display und als er die Frauenstimme »Hallo« sagen hörte, dachte er zunächst
an Linda, es war derselbe unverbindliche Tonfall, mit dem auch sie sich meist meldete,
zwei Silben, in denen Hast und Stress mitschwangen und die dem Gesprächspartner
unmissverständlich signalisierten, dass er sich kurz fassen solle.
»Hallo –
Linda, bist du das?« ,antwortete er, noch etwas matt, und hatte Mühe, aus dem Rauschen
und Lärmen an seinem Ohr eine Stimme zu erkennen. Es klang, als ob eine Boeing direkt
über einer viel befahrenen Autobahn startete, dazu kamen Wortfetzen und Aussetzer,
die ein Verstehen nahezu unmöglich machten.
»Ulla« hörte
er schließlich heraus, und »Flughafen«.
»Ulla?«,
fragte er nach, »wo bist du?«
Aus den
wenigen Worten, die deutlich bis zu ihm drangen, schloss er, dass sie in Lagos war,
am Flughafen, und sich mit ihm treffen wollte. Er nannte ihr sein Hotel und wiederholte
zur Sicherheit zweimal, dass er hier auf sie warten würde. Dann riss die Verbindung
ab.
Alan ging
ins Bad, um sich für die Straßen von Lagos zu rüsten. Auf dem Boden des mit grauen
Steinfliesen gekachelten Raums stand dort, wo eine flache Blechwanne die Dusche
andeutete, ein großer grüner Plastikeimer, in den von einem verkalkten Duschkopf
Wasser tropfte.
Plopp. Plopp.
Er betätigte
den Wasserhahn an der kahlen Wand und sah erwartungsvoll nach oben.
Plopp. Plopp.
Auch das
Waschbecken schien schon seit Tagen keine Feuchtigkeit mehr gesehen zu haben, das
erzählten ihm die in ihm klebenden und verkrusteten Fliegen und Käfer.
Plopp. Plopp.
Der grüne
Eimer war immerhin zu einem Drittel voll getropft, das Wasser roch nicht unangenehm
und er schüttete sich den kompletten Inhalt über Kopf und Körper. Dann stellte er
den leeren Eimer wieder an seinen Platz zurück.
Klopp. Klopp.
Es klang
jetzt härter, der Boden des leeren Eimers hallte nach, doch bis zum nächsten Morgen
dürfte er sich wieder für eine neue Dusche gefüllt haben, und mehr als zwei Nächte
gedachte Alan ohnehin nicht, hier zu bleiben.
Er würde
Ulla wieder sehen. War ein hübsches Mädchen gewesen, damals, vor zehn Jahren. Ob
sie sich stark verändert hatte? Sie hatten keinen Kontakt mehr gehabt, er war nie
wieder nach Westafrika zurückgekommen. Es hatte nichts mit ihr zu tun gehabt, dafür
war ihre Beziehung zu oberflächlich gewesen. Ulla war mit Eberhard zusammen gewesen,
einem Entwicklungshelfer aus Ostdeutschland, als sich die Affäre zwischen ihnen
anbahnte.
Für Alan
war es zunächst nichts Ernsthaftes, doch Ulla wollte offenbar mehr. Es hatte sie
nicht gestört, zwei Männer zu vögeln, und Alan hatte nicht gefragt. Er wusste nicht,
ob sie Eberhard liebte, es war ihm egal gewesen. Er war damals noch nicht reif für
eine feste Beziehung, nicht nach der tragischen Geschichte in der Mara.
Angie.
Er war damals
für sein eigenes Unternehmen in Nairobi gefahren, und sie war unter seinen Gästen
gewesen. Fotografierte für irgendeines dieser Magazine. Sie hatte ihm ziemlich den
Kopf verdreht, sonst wäre ihm die Scheiße mit dem Elefanten nicht passiert, das
sagte er sich später immer wieder.
Die Safari
war schon fast zu Ende, es war die letzte Pirschfahrt in der Maasai Mara. Angie
wollte für ihre Reportage unbedingt einen angreifenden Elefanten fotografieren.
Sie hatten eine kleine Herde aufgespürt, und Alan fuhr ziemlich nahe an die Tiere
heran. Die Kühe führten Junge mit sich und waren leicht zu provozieren. Doch zu
einem richtigen Scheinangriff gingen sie nicht über. Angie redete so lange auf ihn
ein, bis er ausstieg, um die Tiere zu reizen. Es war ihm klar gewesen, dass es gefährlich
und verboten war, doch wollte er der hübschen Fotografin imponieren. Er, der große
weiße Safariführer trat den Elefanten zu Fuß entgegen! Idiot!
Alan wusste,
dass erste Angriffe immer Scheinangriffe waren. Und
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