Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
plädiert. Gegen ihren Willen hatte er die Verdächtige nach
Hause geschickt, mit dem Versprechen, sich am nächsten Morgen zu einer bestimmten
Zeit wieder zur Verfügung zu stellen. Fatalerweise hatte die Frau sein Vertrauen
missbraucht und sich nach Südafrika abgesetzt, um – wie sich später herausgestellt
hatte – auf eigene Faust zu recherchieren. Jetzt hatte ihn die Oberkommissarin ihren
ganzen Hass spüren lassen und Beschwerde eingelegt.
So hatten
ihm die beiden Frauen mächtig Ärger eingebracht, was zum einen die Trennung von
seiner Frau zur Folge hatte, die von der Nacht mit der Stuttgarter Kollegin Wind
bekommen hatte. Die andere Folge war ein Disziplinarverfahren, das gegen ihn eingeleitet
worden war, der Vorwurf hatte auf versuchte Strafvereitelung im Amt gelautet.
Er hatte
noch Glück gehabt, dass von einem Strafverfahren abgesehen worden war. Es hatte
sich herausgestellt, dass die Journalistin die Tat in Südafrika aufgeklärt und ihre
Unschuld bewiesen hatte. Trotzdem hatte das Disziplinarverfahren seine Versetzung
zur Kriminalpolizeiaußenstelle Singen am Hohentwiel nach sich gezogen. Zwar hatte
er als Erster Kriminalhauptkommissar deren Leitung übernommen, trotzdem war es für
den nach einer Stelle beim Landeskriminalamt strebenden Beamten ein herber Rückschlag
gewesen.
»Viel Spaß
im Hegau«, hatte die Stuttgarter Oberkommissarin gegeifert, »ich hätte dir gewünscht,
dass du die Uniform ausziehen darfst! Und zwar diesmal nicht bei mir im Bett!«
›Suspendierung
vom Dienst‹ hieß das im Klartext, und er musste zugeben, dass er eigentlich sogar
damit gerechnet hatte. In einem Strafverfahren hätte ihm nach § 258 des Strafgesetzbuchs
sogar Freiheitsentzug bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe gedroht.
Insofern
musste er sich eigentlich glücklich schätzen, jetzt im Hegau zu ermitteln, doch
die Straftaten am Fuß des Hohentwiel bewegten sich zwischen ›unerlaubtem Entfernen
vom Unfallort‹ und ›fahrlässiger Körperverletzung‹. Und war doch mal ›Todesfolge‹
im Spiel, schalteten sich die Kollegen der Kriminalinspektion 1 in Konstanz ein,
der er direkt unterstellt war.
Auch jetzt,
bei diesem Mord am Fuß des Schiener Bergs im Grenzbezirk zur Schweiz, würde er sicher
nicht lange die Rolle des Leitenden Ermittlers spielen. Es würde, wie immer bei
Tötungsdelikten mit unbekanntem Täter, von Konstanz aus eine Sonderkommission eingerichtet
werden. Die Routinearbeit würden sie ihm und seinem Team sicher lassen, Zeugenbefragungen,
ein paar Telefonate, die Überbringung der Todesnachricht an die Angehörigen. So
hatte Kriminalhauptkommissar Jens Bosch nicht gerade gute Laune, als er das Gartengrundstück
auf der Höri betrat. Thomas Reuschke klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und
sagte in seinem sächsischen Akzent:
»Nu komm
schon, ist doch immerhin der erste Mord, seit du im Hegau bist. Und wir haben schon
ein paar recht interessante Details entdeckt.«
»Na, dann
schieß mal los!«
»Komm mit
zur Ärztin. Wegen der Todesursache. Klingt echt spannend!«
Eine jung
wirkende Frau mit sportlicher Figur wartete neben der Leiche auf den Kommissar.
»Dr. Gründgens«,
stellte sie sich vor, »ich glaube, wir kennen uns noch nicht.«
Ein sympathisches
Lächeln spielte um ihre Lippen, und die Lachfältchen um ihre Augen sprachen ihn
sofort an. Er ertappte sich dabei, wie er nach einem Ring an ihrer rechten Hand
schielte und erfreut den kahlen Finger registrierte.
»Nein, wir
hatten noch nicht das Vergnügen«, antwortete Jens Bosch und stellte sich ebenfalls
vor. Ihr Händedruck war fest und eine Sekunde zu lang, aber vielleicht bildete er
sich das auch nur ein. Nimm dich zusammen, rief er sich zur Räson, nicht schon wieder
Weibergeschichten im Zusammenhang mit einer Straftat!
»Sieht ja
übel aus«, sagte er daher und bemühte sich, seiner Stimme einen dienstlichen Ton
zu geben.
»Ja, der
Täter ist ziemlich brutal vorgegangen. Genaues können Ihnen natürlich erst die Kollegen
der Rechtsmedizin nach der Obduktion sagen, aber die Frau ist mit Sicherheit erschlagen
worden. Und sie ist schon mindestens einen halben Tag lang tot.«
»Und was
spannend ist«, schaltete sich Reuschke ein, »das Wenigste, was hier das Gras so
schwarzrot verfärbt hat, ist Blut!«
»Kein Blut?«,
fragte Kommissar Bosch, »was denn sonst?«
»Rotwein.
Riecht man eindeutig. Stammt vermutlich aus der Flasche, deren Scherben wir da drüben
und auch hier gefunden haben. Dem Etikett nach ein
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