Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
hot au g’sait,
dass die Lene schon so da g’lege isch, wo er sie g’funde hot«, sprudelte es aus
ihm heraus, »ich hon des Blut an ihrem Kopf g’sehe. Und Glasscherbe. Pulle hot dann
den Flaschehals g’funde.«
»Hat er
den auch in die Hand genommen?«
Michel nickte.
»Also finden
wir dort auf alle Fälle seine Fingerabdrücke, Mist!«
Michel zögerte
und seine Augen zuckten nervös.
»Herr Hauptkommissar,
der Pulle war des it. Der hot doch für die Lene g’schafft. Warum hätt er die umbringe
solle? Der isch bloß türmt, weil er echt Schiss hot, wege dene Fingerabdrück und
weil Sie ihn dann für de Mörder haltet.«
»Moment
mal. Der hat für die Tote gearbeitet?«
»Mhm. Im
Garte und so. Getränkekiste g’schleppt. Und en Hausschlüssel hot er au. Aber um’bracht
hot er die Lene it.«
»Das werden
wir ganz sicher herausfinden. Solange er sich nicht stellt, bleibt er jedenfalls
verdächtig. Wenn Sie ihn sehen, sagen Sie ihm das bitte. Hier ist meine Karte. Er
soll mich anrufen oder vorbeikommen. Oder sich einfach irgendwo bei der Polizei
melden. Und sagen Sie ihm, es passiert ihm nichts wegen seines Führerscheins. Das
geht mich nichts an.«
»Danke,
Herr Hauptkommissar. Ich werd’s ihm ausrichte. Kann i jetzt weiter?«
»Ja. Aber
kommen Sie bitte morgen früh in die Kriminalpolizeiaußenstelle Singen. Ich muss
Ihre Aussage aufnehmen und Sie müssen unterschreiben. Geht das um neun Uhr?«
Michel nickte.
Jens Bosch
gab ihm noch eine Karte. »Die ist für Sie. Falls Ihnen noch etwas einfällt. Und
jetzt beschreiben Sie mir bitte noch diesen Jakob Eberle. Oder gibt es ein Foto
von ihm?«
»Ich hon
kons. Wozu brauchet Sie des?«
»Ganz einfach«,
Jens Bosch holte Luft und betonte jedes Wort. »Falls er sich bis morgen um diese
Zeit nicht gemeldet hat, werden wir ihn suchen lassen. Als Zeugen natürlich. Und
glauben Sie mir, wir werden ihn finden!«
Selbst wenn
wir ihn am Ende zur Fahndung ausschreiben lassen, dachte er. Kriminalhauptkommissar
Jens Bosch war entschlossen, diesen Fall zu lösen, und zwar so schnell wie möglich.
Vielleicht half ein solcher Erfolg seiner vermasselten Karriere noch einmal auf
den Sprung? Er verwies Michel an seine Kollegen, um die Personenbeschreibung aufnehmen
zu lassen, und beobachtete, wie die hübsche Ärztin in ihren blauen Peugeot stieg
und prägte sich die Konstanzer Autonummer ein. Vielleicht konnte er noch ein bisschen
mehr über sie herausfinden.
Michel unterbrach
seine Gedanken: »Der Pulle war des it, Herr Hauptkommissar. Des isch wie in sellem
Lied. Sie wisset scho: der Mörder isch immer der Gärtner. Von sellem Waggershausen.«
»Ja, ich
weiß«, sagte der Kommissar. »Der Mörder war wieder der Butler. Und der hat sogar
den Gärtner umgebracht. Guter Song. Ist aber nicht von Waggershausen. Ist von dem
Ambros.«
6
›Die Welt schielt nach Japan, Lybien
und Lampedusa‹, dachte Linda Roloff. ›In Fukushima droht die nächste Reaktorkatastrophe
nach Tschernobyl, Gaddafi holt zum nordafrikanischen Flächenbrand aus, vor der italienischen
Mittelmeerinsel ertrinken die Flüchtlinge zu Hunderten, und du packst deinen Koffer
für Namibia!‹
Die Bilder
aus dem ARD-Morgenmagazin gingen der Journalistin nicht aus dem Kopf, während sie
Alans Checkliste noch einmal durchging, um ja nichts zu vergessen. Waren drei T-Shirts
wirklich genug für drei Wochen? Alans Liste erschien ihr doch ein wenig spartanisch,
und sie zog zwei weitere Shirts aus dem Kleiderschrank. Die Unterwäsche hatte sie
ohnehin schon verdoppelt. Alan würde den Kopf schütteln, aber da dachte sie halt
ein wenig anders als er. Ein wenig? Welten! Immerhin war Alan Scott im Busch aufgewachsen,
und sie kam als Europäerin aus Deutschland nach Afrika.
Alan Scott.
Wie lange
kannten sie sich?
Sechs Jahre.
Und sie würde ihre erste Begegnung nie vergessen. Damals, auf der Likoni-Fähre in
Mombasa …
Sie war
wie eine Touristin zur Küste gereist, gut getarnt mit großer Sonnenbrille und breitkrempigem
Strohhut. Eine kleine Umhängetasche mit wenigen unentbehrlichen Dingen war ihr einziges
Gepäck gewesen, ihre Koffer hatte sie im Serena-Hotel in Nairobi deponiert.
Wie alle
Touristen musste auch sie auf der Likoni-Fähre von Mombasa-Island zur Südküste den
Bus verlassen und stand, eingepfercht zwischen Urlaubern und Einheimischen, am Bug
des altertümlichen Schiffes. Dann plötzlich der Alptraum: im allgemeinen Gedränge
zwischen den stinkenden Autos und Bussen auf der Fähre
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