Verschlüsselte Wahrheit - Inspektor Rebus 05
das.
»Der Tee ist fertig«, sagte sie. »Ich schenk uns beiden ein Tässchen ein.« Dann erinnerte sie sich an etwas. »Denken Sie daran, dass im Zimmer nicht gekocht werden darf.«
Andrew McPhail schüttelte den Kopf. »Ich koche nicht«, erwiderte er. Ihr fiel noch etwas ein, und sie ging zum Fenster, an dem die Gardinen noch geschlossen waren.
»Ich zieh die mal auf. Sie können auch ein Fenster öffnen, wenn Sie frische Luft wollen.«
»Ein bisschen frische Luft wär nicht schlecht«, stimmte er zu. Sie schauten beide aus dem Fenster auf die Straße hinunter.
»Es ist ruhig hier«, sagte sie. »Nicht allzu viel Verkehr. Tagsüber gibt’s natürlich schon ein bisschen Lärm.«
McPhail sah, was sie meinte. Auf der anderen Straßenseite stand ein altes Schulgebäude mit einem schwarzen Eisenzaun davor. Es war keine große Schule, vermutlich eine Grundschule. Von McPhails Fenster aus konnte man auf das Schultor blicken, das sich rechts vom Hauptgebäude befand. Gleich hinter dem Tor lag der derzeit verlassene Schulhof.
»Ich schenk uns jetzt den Tee ein«, sagte Mrs MacKenzie. Nachdem sie fort war, legte McPhail sein Gepäck auf das weich gefederte Bett, neben dem ein kleiner Schreibtisch und ein Stuhl standen. Er nahm den Stuhl und stellte ihn vor das Fenster, dann setzte er sich darauf. Er schob einen kleinen Glasclown auf der Fensterbank ein Stück weiter, so dass er sein Kinn an der Stelle aufstützen konnte, wo die Figur gestanden hatte. Nun behinderte nichts mehr seine Aussicht. Er saß dort und blickte verträumt auf den Schulhof, bis Mrs MacKenzie rief, dass der Tee im Wohnzimmer bereitstehe. »Es gibt auch Sandkuchen.« Andrew McPhail stand seufzend auf. Ihm war jetzt eigentlich gar nicht nach Tee zumute, aber vermutlich konnte er ihn auch mit auf sein Zimmer nehmen und später trinken. Er fühlte sich müde, hundemüde, aber er war zu Hause und irgendetwas sagte ihm, dass er diese Nacht schlafen könnte, in einen totenähnlichen Schlaf sinken würde.
»Ich komme, Mrs MacKenzie!«, rief er und riss seinen Blick von der Schule los.
2
Am Montagmorgen ging das Gerücht durch die Polizeiwache St. Leonard’s, dass Inspector John Rebus in noch üblerer Laune wäre als gewöhnlich. Einige konnten sich das kaum vorstellen und wären beinahe so weit gegangen, sich in seine Nähe zu wagen, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen … aber auch nur beinahe.
Andere hatten gar keine andere Wahl.
DS Brian Holmes und DC Siobhan Clarke, die sich mit Rebus im abgetrennten Teil des Kripobüros einen Raum teilten, sahen aus, als säßen sie auf rohen Eiern.
»Also«, sagte Rebus, »was ist mit Rory Kontoul?«
»Er ist aus dem Krankenhaus entlassen worden, Sir«, antwortete Siobhan Clarke.
Rebus nickte ungeduldig. Er wartete nur darauf, dass sie einen Fehler machte. Und zwar nicht deshalb, weil sie Engländerin war oder studiert hatte oder reiche Eltern besaß, die ihr eine Wohnung in der New Town gekauft hatten. Auch nicht, weil sie eine Frau war. Es war einfach Rebus’ Art, mit jungen Beamten umzugehen.
»Und er redet immer noch nicht«, sagte Holmes. »Er will nicht sagen, was passiert ist, und ganz bestimmt wird er keine Anklage erheben.«
Brian Holmes sah müde aus. Rebus konnte das aus den Augenwinkeln erkennen. Er wollte Holmes nicht in die Augen blicken, wollte nicht, dass Holmes merkte, dass sie nun etwas gemein hatten.
Beide waren von ihren Freundinnen rausgeschmissen worden.
Bei Holmes war es vor etwas mehr als einem Monat passiert. Wie Holmes später gestand, nachdem er zu einer Tante nach Barnton gezogen war, hatte sich der ganze Streit an der Kinderfrage entzündet. Ihm war nicht klar gewesen, wie sehr Nell sich ein Baby wünschte, und er hatte angefangen, darüber Witze zu machen. Eines Tages war sie dann explodiert und hatte ihn unter den Augen fast aller Nachbarinnen ihres Bergarbeiterdorfs vor die Tür gesetzt. Angeblich hatten die Frauen applaudiert, als Holmes sich aus dem Staub machte.
Nun arbeitete er noch härter als vorher. (Das war auch einer der Streitpunkte zwischen den beiden gewesen. Sie hatte ziemlich regelmäßige Arbeitszeiten, seine waren alles andere als das.) Er erinnerte Rebus an eine durchgescheuerte und völlig ausgeblichene Arbeitsjeans, die sich rapide dem Ende ihres Daseins näherte.
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Rebus.
»Ich will damit sagen, dass wir die Angelegenheit meiner Meinung nach auf sich beruhen lassen sollten, Sir, bei allem
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