Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
gehen und von ihren Abenteuern zu erzählen, bevor sie sich unter ein Federbett oder eine weiche Steppdecke kuschelten, die kein echter Cowboy nach einem harten, langen Arbeitstag jemals zur Verfügung gehabt hätte.
Als sich die staubige Straße gabelte, bog sie in Richtung Stallgebäude ab. Ihre Bekannte, Marian, die dort in der Küche arbeitete, hatte ihr den Tipp gegeben, dass Lo heute Abend zum Striegeln eingeteilt sei.
Sie parkte, klappte die Sichtblende herunter, warf einen prüfenden Blick in den Beifahrerspiegel und fuhr sich dann mit den Fingern durch das windzerzauste Haar. Als sie aus dem Wagen stieg, legte der Cowboy, der die Reitstunde gab, grüßend einen Finger an die Hutkrempe.
»Hallo, Harley.« Sie schenkte ihm ein besonders strahlendes Lächeln. Es war schließlich nichts dabei, kurz vorbeizuschauen, dachte sie. Um etwas Zeit totzuschlagen.
Und um Lo einen gehörigen Tritt in den Hintern zu verpassen.
Sie betrat den Stall, tauchte in den strengen Geruch von Pferden und Heu ein, den süßen Duft von Getreide und Leder. Sie schenkte LaDonna, einer der Frauen, die Ausritte leitete, ein Lächeln.
»Linda-Gail.« LaDonna wackelte mit den Brauen. Hier konnte man aber auch gar nichts geheim halten, erst recht nicht, wenn es um fliegende Fäuste ging.
LaDonna wies mit dem Kinn in Richtung Stallungen. »Lo ist da hinten im Zeugraum. Und nicht gerade gut gelaunt.«
»Schön. Warum sollte es ihm besser gehen als mir.«
Linda-Gail marschierte nach hinten, bog um die Ecke und atmete tief durch, bevor sie den Zeugraum betrat.
Auf seinem CD-Player lief Toby Keith. Er hatte den Hut in den Nacken geschoben, während er Sattelseife in das Leder rieb. Er trug ausgeblichene, bequeme Jeans, die tief auf den Hüften saßen. Die Ärmel seines Jeanshemds waren bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Mit der Spitze seines abgelaufenen linken Stiefels klopfte er den Takt dazu.
Auf seinem attraktiven Gesicht lag ein mürrischer Ausdruck, der ihn nur noch attraktiver machte – vielleicht wegen der geschwollenen Unterlippe und des blauen Auges.
Linda-Gail schmolz sofort dahin, und ihre Wut war so gut wie verraucht.
»Lo.«
Er hob den Kopf. Seine Miene wechselte von mürrisch zu finster. »Was willst du hier? Ich arbeite.«
»Das sehe ich. Ich will dich auch gar nicht davon abhalten.« Sie würde nicht lange um den heißen Brei herumreden, beschloss Linda-Gail. »Tut mir leid, wegen deinem Auge.«
Er sah ihr einen Schwindel erregend langen Moment in die Augen und konzentrierte sich dann wieder auf seinen Sattel.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Aber es ist schließlich nicht das erste Mal, dass dir jemand ein Veilchen verpasst. Ich hab bloß getanzt.«
Er polierte das Leder und schwieg. Linda-Gail spürte, wie eine Spur von Angst in ihr aufstieg. »Ist das alles? Du willst also nicht mal mit mir reden? Du hast dich schließlich so aufgeführt, nur weil ich mit einem anderen getanzt habe. Wie oft war ich schon im Clancy’s, als du mit einer anderen getanzt hast?«
»Das ist was anderes.«
»So was Blödes habe ich schon lange nicht mehr gehört. Wo ist denn da der Unterschied?«
»Das ist einfach was anderes.«
»Aha«, wiederholte sie schneidend. »Wenn ich mit einem anderen tanze, darfst du eine Schlägerei anzetteln. Aber du darfst tanzen, mit wem du willst, ohne dass ich mich deswegen aufregen dürfte.«
»Das bedeutet doch nichts.«
»Behauptest du.« Sie hob drohend den Finger: »Und ich sage, ich kann tanzen, mit wem ich will, ohne dass du das Recht hast, deswegen auszuflippen.«
»Na schön. Keine Sorge, es wird nicht mehr vorkommen. Und wenn das alles ist …«
»Ich lass mich nicht einfach so abspeisen, William Butler. Warum hast du diese Rauferei angefangen?«
»Hab ich doch gar nicht. Er hat angefangen.«
»Du hast ihm eine geklebt!«
»Er hat dich angegrapscht!« Lo warf seinen Lappen weg und sprang auf. »Du hast zugelassen, dass er dich in aller Öffentlichkeit betatscht!«
»Er hat mich nicht betatscht. Außerdem hätte ich ihm gar nicht erst erlaubt, seine Hände an meinen Po zu lassen, wenn du dich nicht so blöd aufführen würdest.«
»Ich?«
»Ganz genau.« Diesmal bohrte sie ihm ihren Zeigefinger in die Brust. »Weil du so blöd bist, immer erst mit dem Schwanz zu denken. Ich habe lang genug gewartet, dass du endlich erwachsen, endlich ein Mann wirst.«
Seine Augen begannen gefährlich zu funkeln. »Ich bin ein Mann.« Er packte sie am Arm und riss sie vorwärts.
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