Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
Kopf hinweg ins Leere. Sie fragte sich, ob er die Tür überhaupt wahrnahm – oder in Gedanken längst hinausgeeilt war.
»Ich bin 28 Jahre alt«, sagte er.
»Du meinst, du bist zu jung, um dich festzulegen …«
»Jetzt halt mal bitte die Luft an und lass mich auch mal was sagen.«
»Einverstanden.« Sie würde die Ruhe bewahren, schwor sie sich, als sie sich aufsetzte und die Decke an sich zog, um sich darin einzuhüllen. Sie würde ihm keine Szene machen.
»Ich bin 28 Jahre alt«, wiederholte er. »Ich habe einen guten Job und ich bin gut darin. Ich habe etwas gespart. Nicht viel, aber mit leeren Händen stehe ich auch nicht gerade da. Ich besitze Rückgrat und bin handwerklich äußerst geschickt. Du hättest es schlimmer treffen können.«
Jetzt sah er sie wieder an. »Was hältst du davon, mich zu heiraten, Linda-Gail?«
Sie hielt die Luft an und ließ sie dann langsam wieder ausströmen. »Was ich davon halte?«
Später trieb sie ein paar Eier auf und machte Rührei, das sie im Bett verschlingen konnten.
»Meine Mutter wird in Ohnmacht fallen.«
Linda-Gail schüttelte den Kopf. »Da unterschätzt du sie aber. Sie liebt dich sehr.«
»Ja, das weiß ich.«
»Sie liebt mich auch.« Linda-Gail kratzte etwas Rührei von dem Teller, den sie sich teilten. »Warum bist du heute eigentlich nicht vorbeigekommen und hast bei den Reparaturarbeiten geholfen?«
»Sie hat gesagt, sie bräuchte mich nicht. Es wären genügend andere Leute da. Sie wollte absolut nichts davon wissen. Du weißt ja, wie sie ist.«
»Sie war geschockt, mehr, als sie sich hat anmerken lassen. Wer kann ihr das bloß angetan haben, Lo?«
Er schwieg. »Soweit ich weiß, war es ein Unfall. Reece hat oben das Badewasser laufen lassen.«
»Nein, das stimmt nicht. Irgendjemand ist bei Reece eingebrochen und hat den Hahn aufgedreht. Sie war nicht mal zu Hause.«
»Aber … Meine Güte, warum erfahre ich das eigentlich erst jetzt?«
»Vielleicht, weil du im Zeugraum geschmollt hast.« Sie schürzte die Lippen, als sie die Gabel in den Mund schob. »Irgendjemand spielt Reece ziemlich gemeine Streiche.«
»Wie meinst du das?«
Sie erzählte ihm, was sie von ihr gehört hatte und wie sie die Sache sah.
»Ganz schön gruselig, wenn man drüber nachdenkt. Irgendjemand will ihr was Böses, und sie weiß nicht, wer. Wenn es der Typ ist, den sie beobachtet hat, als er die Frau umbrachte …«
»Wieso denn das?«, unterbrach Lo sie. »Das ist doch Wochen her. Der ist bestimmt längst über alle Berge.«
»Nicht, wenn es jemand aus der Gegend ist.«
»Meine Güte, Linda-Gail.« Er fuhr sich mit der freien Hand durch sein zerstrubbeltes, von der Sonne gebleichtes Haar. »Das kann unmöglich jemand aus Angel’s Fist sein. Wir kennen doch jeden. Meinst du nicht, wir würden es merken, wenn im Lebensmittelladen ein Mörder neben uns steht oder in Mas Lokal einen Kaffee trinkt?«
»Man weiß nie. Wie heißt es so schön, wenn wieder mal herauskommt, dass der Nachbar ein Psychopath war? Oh, er war so nett und unauffällig. Lebte sehr zurückgezogen und fiel nie unangenehm auf.«
»Bei uns lebt niemand sehr zurückgezogen«, warf Lo ein.
»Trotzdem. Hinterher ist man immer schlauer. Ich wünschte nur, ich könnte irgendetwas tun, um ihr zu helfen.«
»Das machst du doch. Du bist ihre Freundin.«
Linda-Gail lächelte erneut. »Du bist schlauer, als man denkt.«
»Nun ja, ich bin eben sehr bescheiden.«
Tim McGraw dröhnte aus der Jukebox. Er sang ein unmelodiöses Duett mit einem der Handwerker, die Joanie herbestellt hatte, während Reece zur Hauptmittagszeit mit den Bestellungen jonglierte. Sie schaffte es, die Musik auszublenden, um nicht wahnsinnig zu werden, genauso wie die sonstige Geräuschkulisse. Ein weinendes Baby, ein paar Männer, die über Baseball diskutierten.
Alles war beinahe wie immer, solange sie nicht über den Moment hinausdachte. Einmal Elchburger, blutig, Bohnensuppe, ein Hackbraten- und ein Geflügelsandwich. Schneiden, würfeln, aufgeben, grillen.
Sie beherrschte das wie im Schlaf. Vielleicht schlief sie ja wirklich, vielleicht half ihr das dabei, zu überhören, wie Brendas Bruder Dean McGraw verhunzte, während er hinter der Plastikplane hämmerte.
All das war Routine, die Hitze, das Zischen, der Qualm. Routine tat ihr gut. Es war nichts dabei, wenn man sich zwischen der ein oder anderen Krise an die Routine klammerte.
Sie richtete das Hackbratensandwich und den Burger samt Beilagen auf Tellern
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