Verschollen
hin. Auch wenn ihn nach wie vor Fragen und Sorgen quälten, forderte der anstrengende Tag doch schnell seinen Tribut und ließ ihn einschlafen.
Tristan wachte jäh auf und fuhr hoch. Er schwitzte, seine Haut juckte. Die Kerze war heruntergebrannt und es war dunkel – oder es hätte dunkel sein sollen, in dem fensterlosen Raum. Doch ein leichter Schimmer erhellte ihn dennoch ein wenig. Es dauerte einen Moment, bis Tristan begriff, woher das schwache Glimmen kam – seine Arme leuchteten.
Verdattert starrte er auf die leuchtenden Flecken, die sich darauf ausgebreitet hatten. Einige waren riesig, fast handtellergroß, andere kaum größer als eine Fingerkuppe und ganz verschnörkelt. Auf beiden Armen bedeckten sie Ober- und Unterseite bis hinauf zur Schulter und ihre Ränder leuchteten schwach – und sie juckten höllisch.
Tristan berührte einen der Flecken vorsichtig und der ganze Fleck begann zu glimmen. Es tat nicht weh und fühlte sich auch nicht warm an, nur der Juckreiz war schier unerträglich und Tristan begann seine Arme zu reiben. Einige weitere Flecken glommen auf und plötzlich …
Tristans Blick verschwamm, ein Schleier legte sich vor seine Augen und dann wurde es hell, gleißend, doch er konnte die Augen nicht schließen. Er wollte die Hände vor das Gesicht schlagen, doch sie gehorchten ihm nicht. Er stand stocksteif da, während das gleißende Licht ihm die Augen zu verbrennen drohte. Doch dann wurde es dunkler, der Raum bewegte sich. Tristan sah ein Fenster … ein Fenster? Der Raum hatte doch gar kein Fenster gehabt, wo …? Ein kleiner Raum, holzvertäfelte Wände, die Sonne strahlte herein und beschien – Tristan keuchte … Auf dem Boden lag eine Frau. Sie hatte bräunliche Haut und schwarzes Haar und trug einen silbernen Brustpanzer. Ihre Arme waren nackt und sie hatte ähnliche Flecken wie Tristan. Ihr Kopf stand unnatürlich vom Rumpf ab und sie blickte Tristan mit leeren Augen an, und da war Blut …
Tristan schrie auf, stolperte zurück, fiel über den Schemel und landete hart auf dem Steinboden. Er war wieder in der Herberge, doch nun flog die Tür auf und Martin stürmte mit einem Kerzenleuchter herein. »Was zum …?«, brauste er, aber als er Tristans Gesichtsausdruck und die Flecken auf seinen Armen bemerkte, kniete er sich neben ihn.
»Kein Grund zur Sorge«, beruhigte er. »Das sind die Zaubermale. Sie erscheinen immer einige Zeit nach der Portalpassage. Das Jucken und Leuchten hört bald auf.«
»Ich … ich«, stotterte Tristan. »Ich hab einen toten Paladin gesehen. Eine Frau.«
»Was!?« Martin starrte ihn erschrocken an. »Wo? Wen?«
»Ich weiß nicht«, murmelte Tristan. »Ich hab die – Male – gekratzt und plötzlich wurde es ganz hell und dann … war ich woanders, in einem Zimmer mit Fenster und da lag sie auf dem Boden. Sie hatte auch Male auf den Armen.«
»Mein Gott«, hauchte Martin. »Beschreib sie.«
»Ich weiß nicht. Dunkle Haare und von der Hautfarbe sah sie aus, als käme sie aus Indien oder so.«
»Shamila«, flüsterte Martin. »Du hast Shamila gesehen. Und du bist sicher, dass …?«
»Ihre Augen waren offen, ihr Kopf stand irgendwie zu schief und da war Blut.«
»Das ist übel.« Martin fuhr sich mit der Hand über die Bartstoppeln. »Wie kann das nur passieren? Verstehst du, das war eine Vision. Kann sein, dass es schon passiert ist oder noch geschehen wird, aber es ist unabänderlich. Und einen getöteten Paladin hat es nicht mehr gegeben, seit … ich weiß nicht mehr wann. Noch dazu auf diese Weise.«
»Was meinst du?«
»Siehst du, ein Paladin kann sich mit den Malen selbst heilen, wenn eine Verletzung ihn nicht sofort umbringt. Was du beschrieben hast, klingt, als hätte man ihr das Genick gebrochen, als hätte jemand gewusst, was er tun muss.«
»Aber wie – sie sind doch so stark, sie können zaubern …«
Martin nickte düster. »Eben. Wer oder was sie auch angegriffen hat, es war sehr, sehr mächtig.«
Eine Weile saßen sie beide schweigend da, erschrocken über die letzten Worte, dann stand Martin auf. »Wir sollten so schnell wie möglich zu Meister Johann reisen, um zu erfahren, was los ist. Komm.«
Martin ging mit einer Schüssel zum Brunnen und Tristan folgte ihm nach draußen. Ihm war ein wenig schwindelig und er wollte frische Luft schnappen. Staunend sah er zum Himmel auf. So viele Sterne hatte er noch nie in seinem Leben gesehen und gleich drei Monde tauchten die Landschaft in helles Licht.
»Das sind die
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