Verschollen
müsst . Natürlich ist unser Unternehmen gefährlich, aber ich denke, ob ihr nun mit uns oder mit der Armee geht oder hier bleibt und eventuell Nephara vor einem neuen Angriff beschützt, sicher ist keine dieser Alternativen. In die Unterwelt hinab zu steigen bedarf jedoch schon einigen Mutes, deshalb ist es eure Entscheidung, ob ihr mit uns kommen wollt.«
»Ich möchte mitkommen«, antwortete Tiana, ohne groß nachzudenken, und erntete einen überraschten Blick von Vinjala, die noch zögerte, dann aber auch nickte.
»Gut. Geht und übt den Nachmittag noch weiter, dann packt eure Sachen, wir brechen morgen auf«, wies Jessica sie an.
Tristan suchte Tianas Blick, aber sie wich dem seinen aus und ging mit Vinjala zurück zu den anderen Schülern, während er Jessica folgte, um im Haupthaus nach Martin, Ilgar und Katmar zu suchen.
Am nächsten Morgen lag Tristan schon früh wach im Bett. Ein Rucksack mit Ersatzkleidern und Schuhen stand gepackt auf dem Boden, dazu das Schwert, das er schon in Nephara geführt hatte. Tristan stierte nur an die Decke. In seiner Magengegend hatte sich ein Klumpen gebildet – Angst vor den Gefahren, Angst davor, so lang mit Tiana unterwegs zu sein und weiter ihre Ablehnung zu erfahren, vor allem aber Angst davor, seinen Vater nicht oder nur noch tot zu finden. Bislang war er sich immer relativ sicher gewesen, dass er ihn finden, zurückbringen und damit seine Schwester retten würde. Aber wenn nicht? Das hieße, allein zurückkommen und seiner Mutter zu sagen, dass nicht nur Papa tot oder verschwunden war, sondern es auch keine Hoffnung mehr für Svenja gäbe. Er war froh, als es klopfte und seine düsteren Gedanken von Martin beiseitegeschoben wurden, der ihn abholte.
Das Frühstück war diesmal besonders reichhaltig, dazu bekam jeder der Kämpfer einen Beutel mit Proviant überreicht. Anschließend sammelten sich die Paladjur, die mit der Armee ziehen würden, auf dem Hof. Es waren fast genau so viele wie vor der Schlacht von Nephara, nur die Gefallenen und einige Auserwählte wie Keldra fehlten. Sie stand auf der Veranda neben Johann, der den Aufmarsch hoch aufgerichtet und mit wachem Blick verfolgte. Pierre und Brenda sorgten an seiner Statt für die Organisation der Truppe. Als alles bereit war, drehte sich die Gruppe auf einen Befehl zur Veranda.
»Meine Kinder, werte Paladine«, rief Johann mit kraftvoller Stimme. »Wir haben schon viele in die Schlacht geschickt und viele verloren. Nun wissen wir, mit wem wir es zu tun haben, und es erfüllt viele von euch sicher mit Furcht. Doch seht statt dessen die Hoffnung. Die Paladine sind wahrscheinlich noch am Leben, ihr könnt zu ihrer Befreiung beitragen. Darum geht mit erhobenem Haupt und Mut im Herzen. Lebt wohl!«
Johann hob die Hand zum Abschied, Pierre brüllte einen Befehl und schon setzte die Truppe sich in Marsch. Tristan war einer der Letzten in der Gruppe und wandte sich am Tor nochmal um, die Hand zum Gruß erhoben. Johann winkte zurück, er sah wieder alt und schwach aus, stützte sich mit krummem Rücken schwer auf seinen Stock.
10
SIE MARSCHIERTEN GERADEWEGS DURCH DIE STADT. Viele Passanten blieben stehen und sahen ihnen nach. Einige wünschten Glück oder den Segen der Götter, aber die meisten schauten nur düster oder traurig drein. Auch auf dem belebten Markt hinter dem Stadttor machten die Passanten respektvoll Platz und sahen ihnen mit ähnlichen Blicken nach. Tristan gefielen diese Blicke nicht. Sie zeugten nicht von Hoffnung, machten ihm keinen Mut. Im Gegenteil, er kam sich vor, als wäre er auf dem Weg zu seiner eigenen Beerdigung.
Martin hob die Schultern, als Tristan ihn darauf ansprach. »Sieh es aus ihrer Perspektive. Fast dreißig Halbgötter sind verschwunden, von den sechs, die sie suchen sollten, kamen auch nur drei zurück. Und nun wollen gerade mal vier mit einigen ihrer Kinder und Enkel das Blatt wenden?«
»Siehst du es denn auch so hoffnungslos?«
Martin schnaubte verächtlich. »Bei uns zuhause würde man das wohl Himmelfahrtskommando nennen. Aber davon waren schon genug erfolgreich. Abwarten können wir nicht, wir müssen etwas tun, und ich glaube der Plan könnte funktionieren. Jedenfalls können wir deinen Vater und die anderen nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.«
So richtig Mut machte Tristan das nicht, aber letztlich hatte Martin Recht, eine Wahl hatten sie ohnehin nicht. Denn unverrichteter Dinge auf die Erde zurückzukehren, kam für ihn nicht
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