Verschollen am Mount McKinley - Alaska Wilderness ; 1
ihre Anmeldung entgegengenommen hatte, wusste sie, dass sie erfahrene Snowboarder waren und beinahe an den Olympischen Spielen teilgenommen hätten, zwei fröhliche »All-American Boys«, wie der Ranger sie genannt hatte. Schon am Telefon hätten sie gute Laune versprüht und seien sicher eine Bereicherung für die Wandergruppe. So konnte man sich täuschen.
Aus der Ferne beobachtete sie, wie Carol die beiden begrüßte und dabei einen sehr souveränen Eindruck machte. Wer so viel Erfahrung mit Wandergruppen hatte wie sie, erkannte seine Pappenheimer wohl auf Anhieb und verhielt sich entsprechend. Allein ihre Körpersprache drückte aus, wie wenig sie sich von solchen Machos beeindrucken ließ. »Alles nur heißer Wind«, würde sie später zu Julie sagen. »Frustrierte Jungs, die auf sich aufmerksam machen wollen. So was gab es früher auch bei den Rangern, ist aber lange her. Inzwischen haben die meisten Jungs erkannt, dass wir mehr können als Windeln wechseln.«
Hinter Julie fuhr eine weitere Teilnehmerin auf den Parkplatz und stieg aus ihrem Wagen, eine zierliche Person, die beinahe in die Knie ging, als sie ihren Backpack auf den Rücken schnallte. Auf Julie machte sie eher den Eindruck einer frustrierten Städterin, die in der Natur ihre Probleme vergessen wollte. Dazu passten auch ihre verweinten Augen und das blasse Gesicht. Ihr Lächeln wirkte gekünstelt. »Kati Wilcott«, stellte sie sich vor. Ihre Stimme klang viel zu leise und etwas heiser. »Ich hoffe, ich komme nicht zu spät.«
»Pünktlich auf die Minute«, widersprach ihr Julie. »Ranger Julie Wilson. Meine Kollegin Carol Schneider und ich werden Sie auf der Wanderung begleiten.« Sie blickte die Frau prüfend an. »Alles in Ordnung mit Ihnen, Kati?«
»Alles okay. Ich kann es gar nicht erwarten.«
Julie blickte der Frau verwirrt nach, als sie zu den anderen ging, und fragte sich, was eine Frau wie sie dazu trieb, an einer Schneeschuhwanderung durch die Wildnis teilzunehmen. War sie stärker und zäher, als es den Anschein hatte? Eine Einzelgängerin, die sich etwas beweisen wollte? Die meisten Urlauber in Alaska waren zu zweit oder in Gruppen unterwegs. War sie allein aus Oregon gekommen, um in Alaska zu sich selbst zu finden? Eine Esoterikerin?
Sie musste über ihre eigenen Gedanken lachen und kehrte zu den anderen zurück, vermied es dabei aber, Josh anzublicken, der sie unverwandt anstarrte und ihr wohl irgendetwas sagen wollte. Zum Glück winkte Carol sie zu sich heran.
»Sieh mal nach, wo dieser Jacobsen bleibt«, flüsterte die Rangerin ihr zu. »Es ist schon nach sieben, und zu lange können wir nicht warten. Vielleicht wartet er beim anderen Besucherzentrum am Eingang des Parks. Nimm den Kleinbus. Ich halte inzwischen meine kleine Rede. Aber beeil dich, Julie!«
Julie versprach es und fuhr mit dem Kleinbus auf die Park Road nach Osten. Sie brauchte nicht lange nach Scott Jacobsen zu suchen. Er stand neben seinem Wagen am Straßenrand und starrte unverwandt nach Westen, in die Dunkelheit und den morgendlichen Dunst, der in feuchten Schwaden über dem verschneiten Land lag. Sie hielt an und ging zu ihm.
»Mister Jacobsen? Ranger Wilson. Wir haben uns in der Lodge kennengelernt. Haben Sie eine Panne? Irgendwas mit dem Wagen nicht in Ordnung?«
Jacobsen schien sie nicht zu hören. »Dahinten muss er liegen, der Mount McKinley. Oder wie nennen sie ihn jetzt? Mount Denali, nicht wahr?« Sein nasaler Dialekt war nur schwer zu verstehen, außerdem sprach er sehr leise.
»Mister Jacobsen. Wir warten auf Sie.«
Er rührte sich nicht von der Stelle, starrte weiter nach Osten, obwohl es dort kaum etwas zu sehen gab. Das Nordlicht war erloschen, der Mond und die Sterne waren hinter einigen Wolken verschwunden. Nur die schneebedeckte Park Road und die schwarze Wand des Waldes waren zu erkennen.
»Mister Jacobsen!«
»Ein unheimlicher Berg, dieser Mount McKinley! Meinen Sie, wir bekommen ihn zu sehen? Ich habe gehört, dass der Gipfel meistens in den Wolken liegt. Wie schaffen es die Bergsteiger nur auf den Gipfel, wenn sie dort oben kaum etwas sehen können? Und warum steigen sie überhaupt hinauf?«
»Das weiß ich nicht, Mister Jacobsen. Weil sie beim Aufstieg eine besondere Erfahrung machen, hat mir ein Bergsteiger mal erzählt. Und weil der Denali ein so gefährlicher und anspruchsvoller Berg ist, dass man sich dort am besten beweisen kann.« Das stand in den Broschüren, die im Besucherzentrum an Bergsteiger ausgegeben wurden. »Weil
Weitere Kostenlose Bücher