Verschollen im Taunus
leid war, wirkte sein Gesicht im Spiegel des Aufzugs relativ frisch. Er glättete seine Haare, die sich schon wieder aufgebauscht hatten.
„Jaah, ist ja gut, toll siehst du aus“, bemerkte der Oberkommissar. „Brauchst du noch meinen Lippenstift?“
„Depp.“
Maxim bezweifelte, ob Natascha ihr richtiger Name war. Auch in Rußland legten sich die Damen des horizontalen Gewerbes meist Künstlernamen zu. Zumindest hatte sie ihm nach allen Regeln der Kunst einen weiteren explosiven Orgasmus besorgt. Rein künstlerisch betrachtet war er also auf seine Kosten gekommen. Auch der Preis war okay. Für Liebesspiel und Übersetzung zweihundert Euro – da konnte man nicht meckern, er hatte schon für weniger mehr bezahlt.
Er legte noch einen Zwanziger drauf, damit Natascha ihm aus dem Telefonbuch die Adresse der Geschäftstelle von Eintracht Frankfurt raussuchte. Dort mußte er gleich hin, denn laut Zeitung würde im Riederwald um 16 Uhr eine Demonstration gegen Michailovitschs Beteiligungsplan stattfinden. Und Maxim rechnete fest damit, Tschetscheniens Staatsfeind Nummer zwei oder drei oder so, inklusive Doppelgänger, dort zur Strecke bringen zu können. Menschenaufläufe, das wußte er aus Erfahrung, waren geradezu prädestiniert für Hinrichtungen dieser Art, siehe John F. Kennedy. Bevor man überhaupt wußte, was los war, konnte ein ausgekochter Killer bereits über alle Berge sein. Er sah auf die Uhr. Es wurde Zeit, denn schließlich wollte noch ein hübsches Plätzchen für den Anschlag gefunden sein. Adrenalin durchströmte Maxims Adern. Am liebsten hätte er Natascha ein weiteres Mal flachgelegt, aber die Zeit drängte. Sicherheitshalber fragte er die Dame, ob sie denn am Abend schon was vorhabe. Sex und ein paar präzise Kopfschüsse gehörten für ihn zusammen wie die Zigarette zum Morgenkaffee.
„Für dich immer“, flötete Natascha und bat ihren durchtrainierten und zahlungskräftigen Kunden mit dem erotischen Sixpack, ihr doch beim Schließen des BHs behilflich zu sein. Auch sie war sexuell durchaus zufrieden. Nur wenige Kunden kriegten das hin.
304 lag in der dritten Etage. Ach nee! Herr Schweitzer nahm all seinen Mut zusammen und klopfte. Dann huschte er in Erwartung einer Maschinengewehrsalve ganz, ganz schnell zur Seite. Zu seiner Verwunderung blieb sie aus, die Salve. Von Schmidt-Schmitt bekam er für diese Aktion einen Vogel gezeigt. Herr Schweitzer kam sich saublöd vor. Was soll das, fragte er sich, schließlich bin ich kein Bittsteller, der um Almosen bettelt. Das Geld stand ihm ja wohl zu, er hatte hart dafür gearbeitet. Ja, er hatte sich sogar in Lebensgefahr begeben, auch wenn das sicherlich nicht zum Plan gehört hatte. Natürlich hätte er sich am liebsten verdünnisiert, doch das ging jetzt nicht mehr. Ruckzuck würde sein Schwanzeinziehen, sein Versagen, in Sachsenhausen die Runde machen. Schmidt-Schmitt, die elende Laberbacke, würde schon dafür sorgen. Aber das wäre noch nicht einmal das Schlimmste, auch seinen eigenen Ansprüchen wäre mit einem Rückzug nicht Genüge getan.
Das „Herein“ stoppte Herrn Schweitzers Gedanken. Er raffte die Schulter und seine Finger krallten sich um den Griff der Krücke. Wild pochte sein Herz. Mit der linken Hand drehte er den Knauf. Behutsam, als sei sie aus Styropor, stieß er die Tür nach innen. Er erblickte einen breit lächelnden Alexander Michailovitsch mit übergeschlagenen Beinen auf einem Sessel mit gold-dunkelgrünem Paisleymuster. Hinter einer dichten Rauchwolke, ausgelöst von einer Havanna, strahlte er ihm entgegen.
„Kommen Sie. Wie geht es Ihnen?“
Als sich der Oberkommissar Schulter an Schulter zu ihm gesellte, ging es plötzlich Schlag auf Schlag. Von hinten wurden beide ins Zimmer bugsiert. Der stählerne Griff um Herrn Schweitzers Hals brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Die Krücke entglitt ihm. Doch ehe er der Länge nach hinfiel, wurde ihm auch schon ein Stuhl unter den Hintern geschoben. Blitzschnell wurde er am ganzen Körper abgetastet. Schmidt-Schmitt hingegen klatschte an die Wand. Auch er wurde nach Waffen durchsucht. Der Oberkommissar wehrte sich nicht.
„Wer ist das?“ Michailovitschs Stimme war die eines Mannes, der zu befehlen gewohnt war.
Eiseskälte lief Herrn Schweitzer durch Mark und Bein. Seine Nackenhaare sträubten sich. Aber nur kurz, dann wurde er von einem Fatalismus heimgesucht, der auch ihn eiskalt werden ließ. Nun, da eh alles zu spät war, konnte man getrost auch in Würde krepieren.
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