Verschollen im Taunus
erdenkliche Mühe gab, war das Bild auf dem Computer noch so weit vom realen Entführer entfernt wie anno dazumal Heinrich Lübke von der deutschen Sprache. Und das will was heißen.
Nach weiteren unnützen zehn Minuten Schweitzerschen Dilettantismus’ hatte der Polizeizeichner die rettende Idee: „Passen Sie auf. Wissen Sie, was wir jetzt machen? Ich laß mir eine Verbrecherkartei bringen und Sie sagen mir dann: Ja, das ist der Haarschnitt, ja, so kantig oder rund ist das Gesicht, ja, genau so stehen die Ohren ab oder auch nicht, und so weiter. Verstanden? Glauben Sie, das kriegen Sie hin?“
„Natürlich.“ Ich bin ja nicht blöd, dachte Herr Schweitzer. Und wünschte sich ins Bett.
Alexander Michailovitsch war happy. Schon bald würde er sich seinen nächsten Traum erfüllt haben. Er, vor zehn Jahren noch eine kleine Nummer in Rußland, mit der deutschen Prominenz beim Frankfurter Opernball und bei jedem Länderspiel in der VIP-Loge, Eintracht Frankfurt bald in der Champions League. Das gestrige Interview war da ganz nach seinem Geschmack. Keine kritischen Kommentare bezüglich der Herkunft seines Geldes. Tja, hier traute ja auch keiner mehr zu fragen, wie die Quandts und wie sie alle hießen, zu ihrem Vermögen gekommen sind. Ausgebeutete Zwangsarbeiter unter Hitler – so what. Auch über den russischen Räuberkapitalismus würde man über kurz oder lang den Mantel des Schweigens breiten. Das war ja das Schöne am Kapitalismus, mit jedem Euro verstummen die Kritiker oder finden ganz einfach kein Gehör mehr.
Sergej und Wladimir hingegen waren nicht ganz so happy wie ihr Boß. Sie hatten sich von ihrer Abkommandierung nach Frankfurt am Main viel mehr erhofft. Natürlich hatten sich auch in Sankt Petersburg die Abrechnungsmethoden der kriminellen Kreise in Deutschland herumgesprochen, Rüsselsheim und Duisburg waren den beiden noch in frischer Erinnerung. Und auch das Blut, das dort literweise die Bürgersteige verunreinigte – einfach nur vorbildlich. Ein Problem, ein kleines Massaker und aus die Maus. Nicht lange fackeln, genau das entsprach ihrem Naturell. Doch was war? Scheiße war. Einsam und unbenutzt lag das McMillan Tac-50 im Gewehrkoffer, der auf Michailovitschs Bett stand. Die beiden Killer kamen sich so überflüssig vor wie ein Kartoffelsalat beim Meeresfrüchtebüffet. Sergej dachte, daß er genau so gut hätte Leuchtturmwärter in Kamtschatka werden können wie sein Onkel. Der hatte sich vor lauter Langeweile erhängt. Obwohl, spann er nun seinen Gedanken weiter, Leuchtturmwärter muß nicht zwangsläufig langweilig sein. Man konnte zum Beispiel die Signale manipulieren, so daß die Schiffe in die Felsen krachten. Da hatte man wenigstens immer was zu gucken. Dabei war in Frankfurt alles so gut angelaufen. Kommt schnell her, hatte es geheißen, eine verfeindete Bande sei ihrem Chef auf den Fersen. Vor Sergejs innerem Auge hatte sich bereits ein veritables Blutbad abgespielt. Kreuz und quer lagen die Gegner von Kugeln aus dem McMillan durchsiebt in der Gegend rum, hingen mit rausgestreckter Zunge über irgendwelche Gartenzäune. Sein Kumpel Wladimir stand gähnend am Hotelfenster und starrte hinaus. Bis auf einen Penner, der in der Ruine gegenüber herumstromerte, war alles ruhig. Zu ruhig. Viel zu ruhig.
„Sergej“, sagte Michailovitsch in die Stille hinein, „geh doch mal zu dem Metzger von gestern, wie hieß der noch gleich?“
„Pomp, Chef, Pomp heißt der.“
„Ja, zum Pomp. Und hol noch ein Kilo von den Gambas mit Knoblauchsößchen. Oder am besten zwei.“ Generös wedelte er mit einem 200-Euro-Schein. „Morgen besuche ich den Präsident von Eintracht Frankfurt. Ich denke, spätestens am Wochenende fahren wir nach Sankt Petersburg zurück. Mütterchen Rußland fehlt mir doch ein bißchen.“
„Und Ihre Feinde, die Sie entführen wollten …“ Sergej hatte die Hoffnung auf ein kleines Massaker noch nicht gänzlich ad acta gelegt.
„Ach, die haben sich bisher noch nicht gerührt. Wahrscheinlich sind sie längst wieder in ihren Löchern.“
Sergej sackte in sich zusammen. Eine Riesenportion Gambas im Knoblauchsößchen war für einen echten Killer eben kein Ersatz.
Auch Wladimirs Miene verdüsterte sich.
Raubtiere muß man auf die Jagd schicken, sonst verkümmern die natürlichen Instinkte.
Selbst dem McMillan Tac-50, so schien es, entfuhr ein kleiner Seufzer.
Irgendwie, das mußte der Neid ihm lassen, hatte es der Polizeizeichner fertiggebracht, trotz Herrn Schweitzers
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