Verschollen im Taunus
Der von ihm befürchtete Bruderkuß blieb zum Glück aus.
Einen Aufreger gab’s noch, als sie an den ausdruckslosen Gesichtern der Leibwächter vorbeigingen und Michailovitsch erklärte: „Meine Jungs sind übrigens auch nicht von schlechtern Eltern. Wladimir zum Beispiel hat einen schwarzen Gürtel in Karate.“
„Oh“, erwiderte Herr Schweitzer. „Ich hab dafür schwarze Socken.“ Er warf Wladimir eine Kußhand zu.
Wladimir, seit jeher von schlichtem Gemüt, wollte natürlich sofort auf den Dicken los. Verstanden hatte er nichts, die Kußhand reichte. Mit einer kurzen, aber eindeutigen Handbewegung wurde er von seinem Boß in die Schranken verwiesen.
Im Fahrstuhl pustete Herr Schweitzer ordentlich durch. Wie immer ging ihm die ganze Tragweite seines Tuns erst im Nachhinein so richtig auf.
„Mann, Simon, du hast vielleicht Nerven. Mit deiner faustdikken Lüge von wegen Gaskocher und Explosion hast du selbst mich ziemlich beeindruckt. Mann, Mann, Simon.“
„Danke, daß du mitgekommen bist, ohne dich hätte ich mich das nicht getraut.“ Er reichte seinem Freund zwei Fünfhunderter.
Schmidt-Schmitt war erstaunt. „Aber, Simon, warum? Du hast doch die ganze Arbeit gemacht.“
„Nun nimm schon. Du weißt, ab und an braucht auch ein Detektiv polizeiliche Unterstützung.“
Der Oberkommissar wehrte sich nur halbherzig. Bevor sich die Aufzugstüren teilten, hatte er das Geld schon verstaut. „Thanks a lot.“
„Ich brauche jetzt dringen einen Joint“, sprach Herr Schweitzer, als sie wieder in der Wallstraße standen. „Wie sieht’s aus? Mein Dealer ist hier gerade um die Ecke. Wenn du willst, kannst du auch was haben. Ich lege ein gutes Wort für dich ein.“
Der Oberkommissar kiffte zwar bei weitem nicht soviel wie Herr Schweitzer, doch nach der Aktion von eben käme ein bißchen Tetrahydrocannabinol nicht schlecht. „Au fein. Das erspart mir den Weg in die Asservatenkammer.“
Nachdem sich die beiden bei Georgio-Abdul versorgt hatten, gingen sie in den angrenzenden Park. Der Alte Friedhof war wie geschaffen für einen nachmittäglichen Pausenjoint.
Als sich die Wirkung entfaltet hatte, fragte Herr Schweitzer: „Was glaubst du machen die mit dem zweiten Entführer, wenn sie ihn haben?“
„Russisch Roulette mit sechs Patronen.“
„Das ist aber nicht fair.“
„Was ist schon fair auf dieser Welt?“
Der Stau hatte schon an der Eissporthalle begonnen. Damit hatte Maxim beim besten Willen nicht rechnen können, in Grosny gab es mangels Motorisierung nicht mal annähernd soviel Verkehr wie in Frankfurt. Im Wageninneren herrschte eine Bruthitze und der Topterrorist fluchte vor sich hin. Immer wieder blickte er nervös auf die digitalisierte Uhrzeit des Armaturenbretts. Das chinesische Gewehr steckte in einer Adidas-Tasche auf dem Beifahrersitz. Die Tasche war ein Falsifikat, denn dort, wo er herkam, gab es so gut wie keine echten Markenartikel. Es blühte der Straßenhandel, chinesische Markenpiraterie-Produkte hatten die Bürgersteige von Grosny überschwemmt. Weil der Blödmann vor ihm auch noch den Motor abwürgte, mußte er die nächste Grünphase am Johanna-Tesch-Platz abwarten. In seiner Heimat hätte er seiner hitzigen Gemütsart freien Lauf gelassen und wie wild gehupt. Doch hier hielt er sich zurück, unterdrückte seine aufkeimende Wut, schließlich war er auf dem Kriegspfad. Seine Mission durfte durch nichts gefährdet werden. Bald würde der lange Arm der Gerechtigkeit zuschlagen. Die Kugeln für Alexander Michailovitsch steckten in der Hemdtasche direkt über seinem Herzen. Blut und Ehre fürs Vaterland.
Es konnte nicht mehr weit sein. Immer mehr fahnenschwenkende Eintracht-Fans säumten die Straße. Den Stadtplan würde er jetzt nicht mehr brauchen. Wie magnetisiert bewegten sie sich auf den Demonstrationsort zu. Mit einem selbstgefälligen Lächeln steckte er sich eine Zigarette an.
Das Glück ist auf seiten der Guten, dachte Maxim und ergatterte die letzte freie Parklücke auf der Zufahrtsstraße. Mit geschulterter Adidas-Tasche folgte er der Menschenmenge. Bei dem Gedanken, daß diese Leute und seine Welten entfernte Untergrundorganisation denselben Feind hatten, grinste er sich eins.
Zehn Minuten später allerdings war ihm das Grinsen vergangen. Das Gelände rund um die Geschäftsstelle war für sein Vorhaben denkbar ungeeignet. Weit und breit kein einziges Gebäude, daß ihm Deckung hätte geben können. Ja, nicht einmal ein kleiner Hügel mit ein paar Bäumchen
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