Verschollen im Taunus
Außerdem hatte er ein Heimspiel. Sachsenhausen gegen Sankt Petersburg. Die Quoten beim Buchmacher sprachen für Herrn Schweitzer, wenn auch nur knapp. Ein Rückspiel gab es nicht, also mußte die Entscheidung hier fallen. Hier in diesem Zimmer, das vor asketischer Kargheit nur so strotzte. Die einzelne Rose in der milchigen Vase war außer dem Sessel das einzige belebende Element des Raums. Herrn Schweitzers Hirn arbeitete wie geschmiert: „Lassen Sie meinen Kumpel sofort los, sonst …“
„Sonst was?“
„Sonst ist Ihr Engagement bei Eintracht Frankfurt schneller beendet, als ich einen meiner Entführer platt gemacht habe.“ Die Idee war ihm gerade erst gekommen. „Also, mein Kumpel würde sich jetzt gerne setzen.“
„Hat der Kumpel auch einen Namen? Nur der Höflichkeit wegen …“
„Das ist der Mischa.“
„Ah, der Mischa“, sagte der Milliardär im aufgeräumten Plauderton. „Mischa finde ich gut. Wissen Sie, daß meine Freunde mich so nennen? Mischa. Von Michailovitsch.“
Herr Schweitzer wähnte sich im falschen Film. Was war das hier? Eine Groteske? Er hörte bereits Hunde quaken und Frösche bellen. Ein Zeichen seiner Indisposition. „Äh …“
„Zigarre gefällig?“ Michailovitsch hielt ihm das kleine Holzschächtelchen hin.
„Äh, nein. Ich rauche nicht.“ Obwohl er jetzt sehr gerne geraucht hätte. Und zwar einen Joint, bestehend aus feinstem holländischen Gewächshaus-Marihuana. So langsam wurde Herr Schweitzer bei klarem Verstand verrückt.
In diesem Moment trat Sergej auf seinen Boß zu. In der Hand hielt er das Phantombild, welches er aus der Jackentasche des Oberkommissars gefischt hatte. Noch immer stand Schmidt-Schmitt mit gespreizten Beinen an der Wand.
Michailovitsch nahm das Blatt Papier entgegen und betrachtete es ausgiebig. Nach einer Weile sagte er: „Den Typ kenne ich nicht. Müßte ich?“
Erstmals meldete sich Mischa zu Wort: „Das ist derjenige Entführer, den Simon nicht platt gemacht hat. Kann ich mich jetzt endlich setzen? Ich habe einen schweren Tag hinter mir.“
Herr Schweitzer fragte sich, was denn so schwer war an Mischas bisherigem Tag, er hatte doch Urlaub. Nur mit einer kleinen, kaum wahrnehmbaren Geste bedeutete Michailovitsch seinen Leibwächtern, daß das schon in Ordnung gehe, daß sich der Freund des Detektivs setzen dürfe. Sofort lockerten sich die Griffe und der Oberkommissar zog sich einen Stuhl heran.
In seiner einnehmenden Art fuhr der Russe fort: „Das müssen Sie mir jetzt aber erklären, wie Sie den Entführer erledigt haben.“
Herr Schweitzer rieb sich die Hände und druckste ein wenig herum: „Nun ja, war ein Kinderspiel. Irgendwie … schon.“
„Aber, aber. Vielleicht geht’s etwas genauer. Schließlich lernen wir gerne dazu. Nobody is perfect, Sie verstehen?“
Ob er sich mit seiner großen Schnauze eventuell etwas zu weit vorgewagt hatte, fragte sich Herr Schweitzer nun. Doch andererseits, wollte man im Konzert der Großen mitspielen, soviel wußte er, mußte man so tun, als könne man so manches Naturgesetz aushebeln. Also: „Ach“, es folgte eine wegwerfende Handbewegung, die ausdrückte, daß er, Herr Schweitzer, in seiner Freizeit mehr dem CIA unter die Arme griff, als sich mit solch einem Pipifax zu beschäftigen, „kaum der Rede wert. Nachdem ich festgestellt hatte, daß die Hütte quasi luftdicht verriegelt war“, war sie natürlich nicht, „habe ich unauffällig den Gaskocher, auf dem gerade ein Topf Ravioli mit Hackfleischfüllung und Tomatensauce brodelte, ausgepustet und gesagt, ich müsse mal pissen, äh, pinkeln. Sie müssen wissen, die beiden haben ständig eine Kippe zwischen den Lippen gehabt. Einer der beiden … der, der auf dem Phantombild zu sehen ist … hat mich begleitet. Die haben mich immer weit weg geführt, wollten wohl nicht, daß der Uringeruch in ihre Nasen dringt. Na ja, und wie ich’s mir ausgerechnet habe, ist der eine dann nach einiger Zeit wieder in die Hütte und dann hat’s auch sofort Bumm-Bumm gemacht. Das Gas, die Zigarette, logisch. Den anderen wollte ich dann mit einem Handkantenschlag überrumpeln. Aber da kam auch schon ein Brett angeflogen. War wohl auch ein bißchen Glück dabei …“
„Bumm-Bumm?“ unterbrach Michailovitsch.
„Ja, so ähnlich. War jedenfalls ziemlich laut.“
„Und weiter?“
Herr Schweitzer übte sich weiter in der Verklärung von Heldenepen, obwohl die meisten Heldenepen eh schon verklärt sind. „Weiter weiß ich auch nicht. Das
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