Verschollen in der Pyramide
matt glänzenden Kupferscheibe ihres Handspiegels, den ihr Meketre einmal geschenkt hatte. Sie dachte daran, wie er ihr das Geschenk überreicht hatte. Er war ganz verlegen gewesen und hatte etwas gestottert. Setha hütete diesen Spiegel wie einen kostbaren Schatz und legte ihn wieder ganz nach unten in ihre kleine Kleidertruhe. Sie stopfte Brot in ein Leinensäckchen und füllte zwei Tonkrüge mit Wasser. Als Meketre mit dem Esel kam, stand Setha schon vor der Tür.
»Du bist schöner als die Knospe in deinem Haar!«
Sethas Wangen wurden heiß, sie sog die frische Morgenluft ein und streckte ihre Arme gegen die aufgehende Sonne.
Auf dem Weg zur Pyramide sprachen sie nicht viel. Je näher sie dem Haus der Ewigkeit kamen, desto beklommener fühlte sich Setha. Als sie die Menschenmenge auf dem Platz vor der Pyramide sah, griff sie die Zügel des Esels.
»Lass uns versuchen, nach vorne durchzukommen, damit wir eine gute Sicht auf den Ausgang der Pyramide haben. Schließlich will ich sehen, wie mein Vater herauskommt. Der Esel wird uns helfen, einen Durchgang durch die Menge zu bahnen.«
Auf einer erhöht liegenden Felsplatte, auf der auch der Esel genug Platz hatte, ließen sie sich nieder. Sie warteten noch nicht lange, da kündigte ein Raunen in der Zuschauermenge den Festzug an. Setha und Meketre stellten sich auf die Zehenspitzen, konnten aber noch nichts sehen. Sie verharrten einen Augenblick lang angespannt, dann hörten sie Flötenklänge und kurz darauf sahen sie die Sänfte des Pharaos, getragen von vier Männern. Vorneweg schritt ein Aufseher mit hoch erhobenem Kopf und unbeweglicher Miene. Auf einmal wogte Jubel durch die Menschenmenge.
»Der Pharao zeigt sich, sieh nur, unser König!« Sethas Stimme überschlug sich fast. Tatsächlich hatte der Pharao die Vorhänge zurückgeschlagen, die den prunkvollen Sitzkasten aus Ebenholz verhüllten, und winkte nach allen Seiten. Er trug die Doppelkrone seines Vaters Snofru, einen gefältelten, gestärkten Leinenschurz und darüber das eng anliegende Hebsed-Gewand, einen Leinenmantel, der nur bei besonderen Anlässen angelegt wurde. Die Zuschauer warfen sich auf den Boden und huldigten dem Pharao.
»Er sieht gar nicht so streng aus, wie immer behauptet wird«, flüsterte Setha ihrem Freund ins Ohr.
»Psst«, zischte Meketre, der den König ehrerbietig anstarrte.Als sich Pharao Cheops wieder hinter die Vorhänge seiner Sänfte zurückgezogen hatte, widmeten sich Setha und Meketre dem Anblick der Flötenspielerinnen. Mit tänzelnden Schritten bewegten sie sich hinter den zwanzig Leibwächtern des Königs und der Priesterschar, deren kahle Köpfe in der Sonne glänzten.
»Wie die das in den Leopardenfellen aushalten?« So unauffällig wie möglich machte Meketre seine Freundin auf einen besonders dicken Priester aufmerksam, dessen knöchellanger Lendenschurz über dem Bauch fast zu zerreißen drohte. Das Leopardenfell wirkte beinahe klein auf dem mächtigen Oberkörper des Gottesdieners, der bei Weitem nicht der einzige beleibte Würdenträger war.
Setha musste sich zusammennehmen, um nicht loszuprusten. »Und dazu müssen einige noch die schweren Götterfiguren tragen«, tuschelte sie mit vorgehaltener Hand. Setha und Meketre kannten sie alle: Horus, Osiris, Isis, die Gemahlin des Osiris, und Hathor, die Göttin des Tanzes und der Freude.
Am meisten beeindruckten Setha die Perücken der Musikerinnen und Tänzerinnen. Manche hatten die Haare mit Haarnadeln aus Elfenbein festgesteckt, andere waren mit Bändern verziert, wieder andere hatten sich Blumen ins Haar gesteckt und einige trugen kostbaren Schmuck.
»Du gefällst mir mit deiner Lotosblume im Haar viel besser. Schade, dass du sie jetzt nicht sehen kannst, sie hat sich ganz weit geöffnet«, flüsterte Meketre Setha zu.
Während Setha nach der Blüte tastete und sich vergewisserte, dass sie noch richtig saß, zogen die Tamburinspielerinnen vorbei. Die grünen und gelben Schmucksteine ihrer Instrumente funkelten in der Sonne und verzauberten die Musikantinnen für einen Augenblick in bunte Märchenwesen. Mit einem kleinen Abstand folgten die Sistrenspielerinnen, die in besonders großer Zahl auftraten. Wenn die Anführerin des Zuges ihre rechte Hand erhob, rasselten die jungen Frauen alle gleichzeitig mit ihren Instrumenten.
Als sich der Festzug an der Nordseite der Pyramide einfand und dort formierte, nutzten viele Menschen die kleine Pause, um sich zu erfrischen. Auch Setha und Meketre ließen sich
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