Verschwiegen: Thriller (German Edition)
um mir seinen Bizeps am linken Oberarm zu demonstrieren. Den Hörer hielt er dabei in der rechten Hand. »Hart wie Stahl.« Aber dann verflog seine Angeberei. »Das ist ein Loch hier«, wiederholte er sich. »Wie ein verdammtes Grab.«
Seine Stimmung schwankte ständig zwischen Machogehabe und Selbstmitleid. Man konnte nicht erkennen, was echt war, vielleicht war auch beides nur Gehabe. Draußen hätte man ihn wegen dieser Sprunghaftigkeit für verrückt gehalten, aber hier war es vielleicht nur eine ganz natürliche Reaktion auf die Umgebung.
»Du hast dafür gesorgt, dass du hier gelandet bist.«
»Stimmt, und ich ziehe das ohne Jammern durch. Hast du mich jammern hören?«
Darauf sagte ich nichts.
»Also, was willst du von mir? Was kann ich für den kleinen unschuldigen Jacob tun?«
»Vielleicht musst du aussagen.«
»Wozu?«
»Ich will dich was fragen. Wie hast du dich damals gefühlt, als du das Mädchen umgebracht hast? Ich meine nicht körperlich, sondern was ging dir durch den Kopf?«
»Was meinst du damit?«
»Warum hast du’s gemacht?«
»Was soll ich darauf sagen? Sag du’s mir.«
»Ich will die Wahrheit.«
»Ja, klar. Vergiss es, die will keiner. Besonders Leute, die behaupten, sie wollen die Wahrheit, wollen sie ganz bestimmt nicht hören. Du erzählst mir, was ich sagen muss, damit mein Enkel freikommt, und ich sag’s. Mir ist das egal.«
»Versuchen wir’s anders. Als es passierte, hast du da an irgendwas gedacht? Irgendwas? Oder kam es einfach über dich, war es ein unwiderstehlicher Drang?«
Er verzog verächtlich die Mundwinkel. »Ein unwiderstehlicher Drang?«
»Gib einfach eine Antwort.«
»Willst du das hören?«
»Vergiss, was ich hören will, ich will gar nichts hören. Sag mir einfach, was du gefühlt hast.«
»Einen unwiderstehlichen Drang.«
Ich atmete tief aus. »Vielleicht würdest du nicht hier drin sitzen, wenn du ein besserer Lügner wärst.«
»Und wenn du nicht ein so guter Lügner wärst, dann wärst du nicht da draußen.« Er sah mich an. »Ich soll dem Jungen helfen, mach ich. Er ist mein Enkel. Sag mir, was ich tun soll.«
Ich hatte ohnehin schon beschlossen, dass Bloody Billy Barber den Zeugenstand nicht zu Gesicht bekommen würde – er war der Schlimmste aller Lügner, er war ein schlechter Lügner.
»Gut«, antwortete ich. »Ich sag dir, warum ich gekommen bin: dafür.« Ich hielt das Päckchen mit dem sterilen Wattestäbchen und dem Plastikfläschchen zum Aufbewahren hoch. »Damit musst du eine Speichelprobe abgeben. Für die DNA .«
»Das werden die hier nicht zulassen.«
»Lass das meine Sorge sein. Du musst zuerst zustimmen.«
»Und warum brauchst du meine DNA ?«
»Wir suchen nach einer bestimmten Genmutation, sie heißt MAOA Knockout.«
»Und was macht dieses Knockout?«
»Man nimmt an, dass es unter bestimmten Verhältnissen körperliche Aggression steigert.«
»Wer nimmt das an?«
»Die Wissenschaft.«
Seine Augen verkleinerten sich zu Schlitzen. Man konnte seine Gedanken förmlich lesen: Vielleicht steckte hier die Möglichkeit zu einer Urteilsrevision, sagte ihm der egoistische Opportunismus seiner Verbrecherseele.
»Je mehr du redest, desto mehr glaube ich, dass Jacob vielleicht gar nicht so unschuldig ist.«
»Behalt deine Meinung für dich. Ich brauche deine Spucke auf diesem Wattestäbchen. Wenn du dich weigerst, komme ich mit einer gerichtlichen Anordnung wieder, und dann hast du keine Chance.«
»Warum sollte ich mich weigern?«
»Warum nicht? Leute wie du begreifen nichts.«
»Was gibt’s da zu begreifen? Ich bin wie jeder andere auch, wie du.«
»Klar, egal.«
»Hör auf mit diesem Gerede. Hast du dir schon mal überlegt, dass es dich ohne mich nicht gäbe?«
»Klar, jeden Tag.«
»Siehst du?«
»Kein schöner Gedanke.«
»Spielt keine Rolle, ich bin und bleibe dein Alter, ob dir das nun passt oder nicht. Du musst dich ja nicht darüber freuen.«
»Tue ich auch nicht.«
Nach einigem Verhandeln und einem Anruf beim Gefängnisdirektor hatten wir endlich einen Weg gefunden. Es war nicht möglich, meinem Vater die Probe persönlich zu entnehmen. Das wäre das Beste gewesen, das Wattestäbchen wäre so immer in meinem Besitz gewesen. Aber es gab keine Ausnahme. Kein Kontakt hieß kein Kontakt. Schließlich durfte ich das Päckchen einem Wachmann überlassen, und der reichte es an meinen Vater weiter.
Ich ging die Prozedur mit ihm Schritt für Schritt durch: »Du musst nur das Päckchen öffnen und mit dem
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