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Verschwiegen: Thriller (German Edition)

Verschwiegen: Thriller (German Edition)

Titel: Verschwiegen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Landay
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Aber so recht daran geglaubt haben Sie nicht. Sie wollen vergessen haben, wer Ihr Vater war? Sie wollen vergessen haben, wie Ihr Sohn sich entwickeln würde, wenn er nach seinem Großvater käme? Nun kommen Sie, das vergisst man nicht einfach so. Sie waren sich dessen die ganze Zeit bewusst. Ein »Bestätigungsfehler«?
    Zeuge:
    Halten Sie sich zurück, Neal.
    Mister Logiudice:
    Sie wussten es die ganze Zeit.
    Zeuge:
    Halten Sie sich zurück, Neal, lassen Sie mich in Ruhe. Benehmen Sie sich endlich wie ein Staatsanwalt!
    Mister Logiudice:
    Sehen Sie, das ist der Andy Barber, wie wir ihn alle kennen. Der Mann, der sich unter Kontrolle hat, ein Meister der Selbstbeherrschung, ein Meister des Selbstbetrugs. Meisterhafter Schauspieler. Ich möchte Sie etwas fragen: In diesen ganzen dreißig Jahren, in denen Sie angeblich Ihre Herkunft vergessen hatten, haben Sie sich etwas vorgemacht, nicht wahr? Und nicht nur sich selbst, sondern Ihrer gesamten Umgebung. Mit anderen Worten, Sie haben gelogen. Stimmt das?
    Zeuge:
    Ich habe niemals etwas Unwahres behauptet.
    Mister Logiudice:
    Nein, aber Sie haben ein paar Dinge weggelassen, stimmt’s? Einfach weggelassen.
    (Zeuge antwortet nicht.)
    Mister Logiudice:
    Aber Sie wollen, dass die Geschworenen Ihnen jetzt jede Silbe glauben.
    Zeuge:
    Ja.
    Mister Logiudice:
    Na gut, dann machen wir mit Ihrer Geschichte weiter.

Dreiundzwanzigstes Kapitel
    Er
    Northern Correctional Institution, Somers, Connecticut
    Die Besucherzelle im Gefängnis war darauf angelegt, einen um den Verstand zu bringen und zu isolieren. Es war ein völlig abgeschlossener Raum, ein paar Meter breit, ein paar Meter lang, hinter mir eine Tür mit einem Fenster und vor mir ein dickes Glasfenster. Zu meiner Rechten hing ein tastenloses Telefon an der Wand. Und es gab eine weiße Fläche zum Abstützen der Arme. Natürlich sollte die Zelle die Häftlinge in Schach halten: Northern war ein Hochsicherheitsgefängnis, in dem nur Besuche ohne direkten Kontakt erlaubt waren. Aber ich war es, der sich wie lebendig begraben fühlte.
    Doch als er dann auf der anderen Seite der Scheibe erschien, Bloody Billy Barber, die Handgelenke in Schellen, mit einem grauen Haarschopf und einer amüsierten Grimasse (wahrscheinlich freute es ihn, dass sein Loser von Sohn endlich bei ihm auftauchte), da war ich froh, dass uns dickes Glas trennte. Im Zoo schleicht der Leopard bis ans Käfigende und starrt uns herablassend durch die Gitterstäbe oder über den trennenden Graben hinweg an. Sein Blick drückt Verachtung aus, der Mensch braucht diesen Schutz, und beiden, dem Leoparden und dem Betrachter, ist die Situation klar: Der Leopard ist der Jäger, der Betrachter die Beute. Und nur die Stäbe oder der Graben garantieren dem Menschen ein Gefühl sicherer Überlegenheit. In dieses Gefühl mischt sich Beschämung – über die physische Überlegenheit des Tieres, seine Eleganz und seine Verachtung gegenüber dem Menschen. Überraschenderweise empfand ich während der ersten Minuten in der Gegenwart meines Vaters genau diese Beschämung. Ich hatte nicht mit großen Emotionen gerechnet: Billy Barber war für mich ein Fremder. Ich hatte ihn seit meiner Kindheit, seit fünfundvierzig Jahren nicht mehr gesehen. Und doch war ich bei seinem Erscheinen wie erstarrt. Es war, als hätte er mit einem Mal auf meiner Seite der Trennscheibe gestanden und mich umarmt.
    Er stand vor dem Fenster wie das Dreiviertelporträt eines alternden Gauners und sah mich an. Dann schnaubte er verächtlich.
    Hinter ihm, an der leeren weißen Wand, stand eine Wache. (Alles hier war leer und weiß, jede Wand, jede Tür, jede Oberfläche. Das Gefängnis Northern C. I. schien aus leeren weiß getünchten Wänden und grauem Beton zu bestehen. Es war 1995 errichtet worden und damit relativ neu. Das völlige Fehlen von Farbe war offensichtlich Teil des Strafvollzugs, denn was kostete es, eine Wand in irgendeiner Farbe zu tünchen?)
    Mein Vater griff nach dem Telefon und ich nach meinem. (Bei dem Wort Vater durchfährt mich immer noch ein leichter Schauer, und im Geiste bin ich wieder im Jahr 1961, als ich ihn im Besucherraum des Whalley-Avenue-Gefängnisses zum letzten Mal sah. Von diesem Moment an liefen unsere Leben in verschiedene Richtungen auseinander.)
    »Danke, dass du mich empfängst.«
    »Die Besucher stehen nicht gerade Schlange.«
    Am Handgelenk war die blaue Tätowierung, an die ich mich all die Jahre erinnert hatte. Sie war eigentlich ziemlich klein und verschwommen.

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