Verschwiegen: Thriller (German Edition)
Spring Park begegnete, beschloss er, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er stieß Ben dreimal das Messer in die Brust« – Logiudice demonstrierte die Geste wie ein Schwertkämpfer – »einmal, zweimal, dreimal. Drei tödliche Wunden, quer über die Brust. Der gleichmäßige Abstand zwischen ihnen lässt Vorsatz, Überlegung und Selbstbeherrschung vermuten.«
Logiudice unterbrach sich, er wirkte ein wenig unsicher.
Das erging den Geschworenen offensichtlich nicht anders. Sie blickten ihn besorgt an. Am Anfang seiner Rede hatte er so überzeugend gewirkt, aber jetzt scheiterte er an dem Warum . Und er verfolgte eine riskante Doppelstrategie: Einerseits sollte Jacob seinen Klassenkameraden im Jähzorn erstochen haben, andererseits sollte er den Mord wochenlang geplant, bis in alle Einzelheiten geplant, dabei sogar seine Erfahrungen als Sohn eines Staatsanwalts genutzt und auf die richtige Gelegenheit gewartet haben. Gleichgültig, mit wie vielen Theorien er seine Überlegungen untermauerte, hatte Logiudice die Frage nach dem Tatmotiv nicht einmal für sich schlüssig beantworten können. Der Mord an Ben Rifkin hatte keinen Sinn, selbst nach monatelangen Ermittlungen fehlte das Motiv. Und ich bin sicher, dass das auch die Geschworenen spürten.
»Nach der Tat entledigte sich der Angeklagte des Messers und ging zur Schule. Er tat so, als ob er von nichts wüsste. Selbst als die Schule geschlossen wurde und die Polizei fieberhaft an den Ermittlungen arbeitete, blieb er gelassen.
Doch aus seiner langen Erfahrung als Sohn eines Staatsanwalts hätte er wissen müssen, dass ein Mörder immer eine Spur hinterlässt. Den perfekten Mord gibt es nicht. Ein Mord ist blutige Dreckarbeit. Und beim Töten macht man in der Aufregung Fehler.
Der Angeklagte hinterließ auf dem Sweatshirt des Opfers einen Fingerabdruck mit dem Blut des Opfers. Ein Abdruck, der nur unmittelbar nach dem Mord dorthin gekommen sein kann.
Und dann begannen die Lügen: Als der Fingerabdruck Wochen nach der Tat endlich identifiziert wird, ändert der Angeklagte seine Aussage: Nachdem er wochenlang an besagtem Morgen nichts von dem Mord gewusst haben will, behauptet er jetzt, am Tatort gewesen zu sein, aber nach dem Mord.«
Ein skeptischer Blick.
»Wir haben ein Motiv: Ein Außenseiter rächt sich an einem Mitschüler, der ihn wiederholt geärgert hat.
Wir haben die Tatwaffe: das Messer.
Wir haben den Tathergang: eine ausführliche Beschreibung des Mordes, die der Angeklagte verfasst hat.
Wir haben ein Indiz: einen Fingerabdruck auf dem Körper des Opfers, mit seinem eigenen Blut.
Die Beweislast ist erdrückend, meine Damen und Herren. Sie lässt keinen Raum für Zweifel. Wenn die Plädoyers vorüber sind und ich Ihnen alle meine Behauptungen bewiesen habe, werde ich Sie um Ihr Urteil bitten, das da nur lauten kann: schuldig. Ich versichere Ihnen, es wird für Sie nicht leicht sein, dieses Wort auszusprechen. Es ist hart, jemanden zu verurteilen. Unser Leben lang werden wir dazu erzogen, genau das nicht zu tun. ›Richtet nicht‹ steht schon in der Bibel geschrieben. Und es ist besonders hart, wenn ein Kind auf der Anklagebank sitzt. Denn innerlich sind wir überzeugt von der Unschuld des Kindes. Wir möchten daran glauben, dass Kinder unschuldige Geschöpfe sind. Aber dieser Junge hier ist nicht unschuldig. Wenn Sie alle Beweise geprüft haben, werden Sie nicht umhinkönnen, genau dieses Urteil auszusprechen: schuldig. Ich werde Sie nur um die Wahrheit bitten, und die lautet: schuldig. Schuldig. Schuldig. Schuldig.«
Er sah den Geschworenen entschlossen und flehend in die Augen.
»Schuldig«, sagte er ein letztes Mal.
Dann neigte er betrübt den Kopf, ging zu seinem Platz zurück und ließ sich in seinen Stuhl fallen. Er wirkte erschöpft oder gedankenverloren oder in Trauer um den toten Jungen, Ben Rifkin.
Hinter mir hörte ich eine Frau wimmern, dann das Geräusch von Schritten und die Tür, die sich öffnete, als sie den Saal verließ. Ich wagte es nicht, mich nach ihr umzusehen.
Ich hatte das Gefühl, das Logiudice sein Eröffnungsplädoyer sehr gut gemacht hatte. Es war auf jeden Fall bislang sein bestes. Aber es war trotzdem nicht der Knüller, den er brauchte. Es blieb die Kernfrage offen: Warum wurde die Tat begangen? Den Geschworenen musste dieser Mangel ebenfalls bewusst geworden sein. Für die Anklage war das ein echtes Problem, denn die Eröffnung ist ihr großer Moment. Ihre Version von der Geschichte ist da noch blütenweiß
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