Verschwiegen: Thriller (German Edition)
ich ihn in der Folge abgegeben. Aber in diesen ersten Stunden musste ich dafür sorgen, dass die Dinge ihren richtigen Gang nahmen.«
»Haben Sie die Bezirksstaatsanwältin darüber informiert, dass Sie möglicherweise befangen sein könnten?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil das nicht der Fall war.«
»War Ihr Sohn Jacob nicht ein Schulkamerad des toten Jungen?«
»Doch, aber ich kannte das Opfer nicht. Und soweit ich wusste, Jacob ebenfalls nicht. Nicht einmal der Name des toten Jungen war mir geläufig.«
»Sie kannten den Jungen nicht. Meinetwegen. Aber Ihnen war bekannt, dass er und Ihr Sohn dieselbe Schulstufe in derselben Schule in ein und derselben Stadt besuchten?«
»Ja.«
»Und sind Sie immer noch der Meinung, dass es da keinen Konflikt gab? Dass Ihre Objektivität infrage gestellt werden könnte, ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen?«
»Nein, selbstverständlich nicht.«
»Sogar im Rückblick nicht? Sie bestehen darauf … Sogar im Rückblick haben Sie immer noch nicht den Eindruck, dass die Umstände so etwas wie Befangenheit nahelegten?«
»Nein, es war daran absolut nichts Widerrechtliches. Nicht einmal etwas Ungewöhnliches. Ich lebte in der Stadt, wo der Mord geschehen war. Na schön. In kleineren Bezirken lebt der Staatsanwalt oft in der Gemeinschaft, in der das Verbrechen geschieht, und ihm sind die Betroffenen oft bekannt. Und? Das spornt ihn bestenfalls an, den Mord aufzuklären. Das ist doch kein Interessenkonflikt. Wissen Sie, ich habe mit Mördern grundsätzlich einen Interessenkonflikt, mehr kann ich dazu nicht sagen. Und das ist genau mein Job. Es war ein furchtbares Verbrechen geschehen, und es war meine Pflicht, etwas zu unternehmen. Und genau das wollte ich tun.«
»Okay.« Logiudice blickte auf einen Notizblock. Es hat keinen Sinn, die Aussagen des Zeugen gleich am Anfang anzuzweifeln. Aber er würde sicher später noch einmal darauf zurückkommen, wenn ich müde war. Im Augenblick hieß es, den Ball flach zu halten.
»Ihnen ist bekannt, dass Sie das Recht haben, die Aussage zu verweigern?« »Selbstverständlich.«
»Und Sie machen keinen Gebrauch davon?«
»Offenbar, denn ich sitze ja hier. Und ich sage aus.«
Gekicher vonseiten der Grand Jury.
Logiudice legte seinen Block zur Seite und mit ihm vorgeblich für einen Augenblick auch seinen Schlachtplan. »Mister Barber, Andy, darf ich Sie etwas fragen? Warum machen Sie keinen Gebrauch davon? Warum schweigen Sie nicht einfach?« Die nächsten Worte sagte er nicht laut: Ich an Ihrer Stelle würde genau das tun .
Eine Sekunde lang hielt ich das für Taktik, für Show. Doch Logiudice schien es ernst zu meinen. Er fragte sich besorgt, ob ich etwas im Schilde führte, und wollte nicht aufs Glatteis geführt werden, wollte nicht als Idiot dastehen.
»Ich möchte nicht schweigen. Ich möchte, dass die Wahrheit ans Licht kommt«, antwortete ich.
»Um jeden Preis?«
»Ich habe Vertrauen in die Justiz, genau wie Sie, genau wie jeder der hier Anwesenden.«
Na ja, eigentlich stimmte das nicht. Ich habe kein Vertrauen in das Gerichtswesen, auf jeden Fall ist es nicht besonders hilfreich, wenn es um das Feststellen der Wahrheit geht. Wir alle haben zu viele Irrtümer erlebt und zu viele Fehlurteile. Das Urteil der Geschworenen ist eine Annahme – eine in bester Absicht geäußerte Annahme, aber man kann Fakten von Fiktion nicht aufgrund einer Abstimmung trennen. Doch all dem zum Trotz setze ich Vertrauen in das Ritual, die religiösen Symbole, in die schwarzen Roben, in die Gerichtsgebäude mit ihren marmornen Säulen, die an griechische Tempel erinnern. Wenn wir zu Gericht sitzen, ist es, als würden wir eine Messe feiern. Wir alle beten dann, dass wir das Richtige tun und Gefahren abwenden, und das ist den ganzen Aufwand wert, gleichgültig, ob man unsere Gebete irgendwo erhört oder nicht.
Natürlich glaubte Logiudice nicht an derartiges Zeug. Er lebte in der schwarz-weißen Gedankenwelt eines Staatsanwalts – jemand ist schuldig oder unschuldig –, und er war entschlossen, mich festzunageln.
»Sie haben Vertrauen in die Justiz«, schniefte er. »Meinetwegen, Andy, dann lass uns gleich weitermachen. Lass die Justiz ihre Arbeit machen.« Er warf den Geschworenen einen vielsagenden Klugscheißerblick zu.
Neal, braver Junge! Lass nicht zu, dass der Zeuge die Geschworenen auf seine Seite zieht, das ist dein Job. Schmeiß dich an sie ran, kuschele dich an sie und lass den Zeugen im Regen stehen. Ich grinste. Wenn ich
Weitere Kostenlose Bücher