Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verschwiegen: Thriller (German Edition)

Verschwiegen: Thriller (German Edition)

Titel: Verschwiegen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Landay
Vom Netzwerk:
paar wenigen engen Freundschaften abgesehen, kannten wir einander nicht besonders gut. Es gab ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl, aber keine wirkliche Nähe. Die meisten Bekanntschaften würden den Highschool-Abschluss unserer Kinder nicht überdauern. Doch in jenen ersten Tagen nach dem Mord an Ben Rifkin gab es so etwas wie ein Wir-Gefühl. Es war, als ob die Mauern zwischen uns gefallen wären.
    In der geräumigen Küche der Rifkins (ausgestattet mit teurem Markenherd, Markenkühlschrank, Arbeitsfläche aus Granit und vanillefarbenen Schränken) standen die Eltern in Grüppchen herum und gestanden einander Schlaflosigkeit, Trauer und unermessliche Angst. Immer wieder riefen sie sich das Columbine-Schulmassaker in Erinnerung und den 11. September und dass sie sich nach Bens Tod an ihre Kinder klammerten. Die außergewöhnliche Gefühlslage jenes Abends wurde durch das warme Licht der Hängelampen mit Schirmen in dunklem Orange noch verstärkt. Als ich den Raum betrat, waren die Eltern gerade dabei, sich dem Luxus persönlicher Offenbarungen hinzugeben.
    Toby Lanzman, eine der Mütter, arrangierte an der Kücheninsel Vorspeisen auf einer Platte. Sie hatte ein Handtuch über die Schulter geworfen, und beim Anrichten waren die Muskeln an ihren Oberarmen gut sichtbar. Toby war die beste Freundin meiner Frau Laurie und eine der wenigen engeren Bekanntschaften, die wir hier gemacht hatten. Als sie bemerkte, wie ich mich suchend nach meiner Frau umsah, zeigte sie in eine Ecke des Raums.
    »Sie bemuttert die anderen Mütter«, meinte Toby.
    »Ja, das sehe ich.«
    »Na ja, wir können im Augenblick alle ein wenig Bemutterung gebrauchen.«
    Ich brummte etwas, warf ihr einen perplexen Blick zu und ging meiner Wege. Toby war eine einzige Herausforderung, ich sah bei ihr keine andere Verteidigungsmöglichkeit, als den Rückzug anzutreten.
    Laurie stand bei einem Grüppchen von Frauen. Ihr dichtes, schwer zu bändigendes Haar hatte sie zu einem losen Knoten am Hinterkopf zusammengefasst und mit einer großen Spange aus Schildpatt befestigt. Gerade drückte sie tröstend den Oberarm einer Freundin. Die neigte sich Laurie entgegen wie eine Katze, die gerade gestreichelt wird.
    Als ich dazukam, legte Laurie ihren linken Arm um meine Taille. »Hallo, mein Liebster.«
    »Zeit zu gehen.«
    »Andy, das sagst du nun schon, seit wir hier angekommen sind.«
    »Das stimmt nicht. Ich hab’s gedacht, aber nicht gesagt.«
    »Nun, man sieht es dir an.« Sie seufzte. »Ich wusste es, wir hätten mit zwei Autos kommen sollen.«
    Sie musterte mich einen Augenblick lang. Sie hatte keine Lust zu gehen, aber sie wusste, dass ich mich nicht wohlfühlte und das Gefühl hatte, alle Blicke auf mich zu ziehen. Außerdem bin ich kein großartiger Gesellschafter – Small Talk in überfüllten Räumen ermüdet mich schnell –, und alle diese Erkenntnisse wollten gegeneinander abgewogen sein. Wie in jeder anderen Organisation geht es auch in der Familie nicht ohne Management.
    »Du kannst schon gehen«, entschied sie dann. »Ich fahre mit Toby nach Hause.«
    »Wirklich?«
    »Wirklich. Warum nicht? Nimm Jacob mit.«
    »Bist du sicher?« Ich neigte mich zu ihr hinab – Laurie ist einen Kopf kleiner als ich – und flüsterte hörbar: »Ich würde zu gerne noch bleiben.«
    Sie lachte. »Geh, bevor ich’s mir noch anders überlege.«
    Die trauernden Frauen starrten mich an.
    »Nun geh schon. Dein Mantel ist oben im Schlafzimmer.«
    Ich ging nach oben und fand mich in einem langen Flur wieder. Der Lärm war hier oben angenehm gedämpft. Noch immer tönte das Echo der Gespräche in meinen Ohren. Ich fing an, nach den Mänteln zu suchen. In einem der Räume, offensichtlich das Kinderzimmer der kleinen Schwester des toten Jungen, lag ein Haufen Mäntel auf dem Bett, meiner war aber nicht darunter.
    Die Tür zum nächsten Raum war geschlossen. Ich klopfte, öffnete, steckte den Kopf durch die Tür und warf einen Blick ins Zimmer.
    Der Raum war schwach beleuchtet. Licht kam nur von einer Stehlampe aus Messing in der hinteren Zimmerecke. Darunter saß der Vater des toten Jungen in einem Lehnstuhl. Dan Rifkin war klein, gepflegt, zart. Wie immer wurde sein Haar durch Lack in Form gehalten. Er trug einen teuer aussehenden Anzug. An einem Aufschlag war ein fünf Zentimeter langer Riss, Symbol für ein gebrochenes Herz. Ein teurer Anzug, welch eine Verschwendung, fuhr es mir durch den Kopf. Im Dämmerlicht wirkten seine Augen eingesunken, bläulich umrandet wie

Weitere Kostenlose Bücher