Verschwiegen: Thriller (German Edition)
einer Antwort zwingen würde, dann würden sie was von einer schlimmen Kindheit erzählen. Sie machen sich zu Opfern. Das ist immer das Gleiche.«
Er nickte kurz, um mich zum Weiterreden zu bewegen.
»Dan, Sie dürfen sich nicht fertigmachen, indem Sie nach einem Grund forschen. Es gibt keinen. Es geht nicht um Logik. Jedenfalls nicht bei dem, worüber wir hier gerade reden.«
Rifkin rutschte in seinem Sessel ein wenig nach unten, er konzentrierte sich, so als ob er über das Ganze noch einmal nachdenken müsse. Seine Augen glänzten, aber seine Stimme klang normal und kontrolliert. »Stellen auch andere Eltern Fragen dieser Art?«
»Sie fragen alles Mögliche.«
»Treffen Sie die Eltern manchmal, wenn der Prozess vorbei ist?«
»Manchmal.«
»Ich meine, Jahre danach.«
»Manchmal.«
»Und sind sie … wie geht es ihnen? Gut?«
»Manchen von ihnen geht es gut.«
»Manchen aber nicht.«
»Manchen nicht.«
»Wie machen die das, ich meine die, denen es gut geht? Was ist das Wichtigste? Da muss es doch ein paar Grundregeln geben. Was ist die richtige Strategie, was sind die besten Methoden? Was hat für sie funktioniert?«
»Sie holen sich Hilfe. Bei ihren Familien, bei ihrer sozialen Umgebung. Es gibt Selbsthilfegruppen für Hinterbliebene, dort suchen sie Unterstützung. Wir können Sie mit einer Gruppe in Kontakt bringen. Sie sollten sich an eine Beratungsstelle für Opfer von Gewaltverbrechen wenden. Auch dort wird man Ihnen weiterhelfen. Alleine schaffen Sie es nicht, das sollten Sie wissen. Denken Sie daran, dass es dort draußen andere gibt, die das Gleiche durchgemacht haben und die begreifen, was Sie gerade durchmachen.«
»Und die anderen, die Eltern, die es nicht geschafft haben, was ist mit denen? Was ist mit denen, die sich nie wieder von dem Schlag erholen?«
»Zu denen werden Sie nicht gehören.«
»Aber was ist, wenn doch? Was passiert mit ihnen, mit uns?«
»Das werden wir nicht zulassen. Daran wollen wir keinen Gedanken verschwenden.«
»Aber es kommt vor. Das stimmt doch, oder? Es kommt vor.«
»Das trifft auf Sie nicht zu. Ben würde das nicht wollen.«
Schweigen.
»Ich kenne Ihren Sohn«, meinte Rifkin. »Jacob.«
»Ja.«
»Ich habe ihn in der Schule gesehen. Scheint ein netter Junge zu sein. Ein großer hübscher Junge. Sie sind sicher stolz auf ihn.«
»Bin ich.«
»Er sieht Ihnen ähnlich, finde ich.«
»Ja, das hat man mir schon öfter gesagt.«
Er holte tief Luft. »Wissen Sie, mir gehen immer wieder die Jungen in Bens Klasse durch den Kopf. Ich fühle mich ihnen verbunden. Ich will, dass sie weiterkommen, wissen Sie? Ich war dabei, als sie groß wurden, sie liegen mir am Herzen. Ist das ungewöhnlich? Halte ich die Nähe zu den anderen Jungen aufrecht, weil ich mich Ben so vielleicht näher fühle? Denn danach sieht das doch aus, oder? Es wirkt vielleicht seltsam.«
»Dan, machen Sie sich keine Gedanken darüber, wie etwas aussieht. Die Leute denken das, was sie denken wollen. Lassen Sie sie einfach! Darüber sollten Sie jetzt nicht nachdenken.«
Er massierte weiter an seiner Stirn herum. Sein innerer Schmerz hätte nicht deutlicher sein können. Ich wollte ihm helfen. Zugleich wollte ich mich aus dem Staub machen.
»Es würde mir weiterhelfen, wenn ich endlich wüsste … wenn der Fall gelöst wäre. Es wird mir helfen, wenn Sie den Fall gelöst haben. Denn diese Unsicherheit macht einen fertig. Das stimmt doch, es hilft weiter, wenn ein Fall endlich gelöst ist? Sie haben das auch bei anderen Fällen beobachtet, oder? Dass es den Eltern weiterhilft?«
»Doch, das glaube ich schon.«
»Ich will keinen Druck auf Sie ausüben. So sollte das nicht klingen. Ich glaube nur, dass es mir weiterhilft, wenn der Fall gelöst ist und der Typ – hinter Schloss und Riegel sitzt. Ich weiß, Sie werden das schaffen. Ich vertraue Ihnen, selbstverständlich vertraue ich Ihnen. Ich zweifle nicht an Ihnen, Andy. Ich wollte nur sagen, dass es mir weiterhilft. Mir, meiner Frau, allen anderen. Ich glaube, das brauchen wir. Dass der Fall gelöst ist. Da zählen wir auf Sie.«
In jener Nacht lagen Laurie und ich lesend im Bett.
»Ich finde trotzdem, dass es ein Fehler ist, die Schule so schnell wieder zu öffnen.«
»Laurie, wir haben das bereits besprochen.« Meine Stimme klang gelangweilt. Das hatten wir doch schon alles . »Jacob ist in Sicherheit. Wir bringen ihn zur Schule und begleiten ihn bis zum Eingang. Es wird dort von Polizisten nur so wimmeln. Wenn er irgendwo sicher
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