Verschwiegen: Thriller (German Edition)
angefangen hat?«
»Gut«, entschied das Rhinozeros. »Das geht an beide: Der Einwand der Staatsanwaltschaft gegen Mister Klein als Rechtsbeistand wird zur Kenntnis genommen und zurückgewiesen.« Sie blickte von ihren Akten auf und sah Logiudice über die Richterbank an. »Kein Übereifer.«
Logiudice beschränkte sich in seiner Antwort auf Gesten – als Ausdruck seiner Missbilligung legte er den Kopf zur Seite und zog die Augenbrauen hoch. Er wollte die Richterin nicht weiter provozieren. Doch in den Augen der Öffentlichkeit hatte er vermutlich einen Pluspunkt erzielt. In den Zeitungen des folgenden Tages, im Radio und im Internet, überall, wo man den Fall analysierte, würde man darüber diskutieren, ob Jacob Barber es nicht mit einem Trick versuchte. Im Übrigen hatte es Logiudice noch nie darauf angelegt, gemocht zu werden.
»Ich verweise den Fall an Richter French«, sagte Richterin Rivera, das Rhinozeros, mit Entschiedenheit. »Wir machen eine Pause von zehn Minuten.« Mit gerunzelter Stirn musterte sie den Kameramann und die Journalisten hinter mir und Logiudice, aber das habe ich mir vielleicht eingebildet.
Die Kaution war schnell erledigt, und man übergab uns Jacob. Wir verließen das Gerichtsgebäude durch eine Meute von Journalisten. Es schienen mehr geworden zu sein, und sie waren auch angriffslustiger: Draußen auf der Thorndike Street stellten sie sich uns in den Weg und versuchten, uns aufzuhalten. Jemand, wahrscheinlich ein Reporter – gesehen hat es niemand – schubste Jacob gegen die Brust und schob ihn einige Schritte zurück, um eine Antwort zu erzwingen. Jacob schwieg. Sein Gesicht blieb ausdruckslos. Sogar die etwas Höflicheren hatten ihre hinterhältige Taktik, um uns aufzuhalten und zum Reden zu bringen: Sie stellten direkte Fragen. »Können Sie uns sagen, was dort drin gerade besprochen wurde?« Dabei wussten sie es über Videokontakt und die Textnachrichten ihrer Kollegen längst.
Als wir endlich um die Ecke bogen und nach Hause fuhren, waren wir fix und fertig. Besonders Laurie sah erschöpft aus. Ihr Haar stand in der Feuchtigkeit nach allen Seiten ab, ihre Gesichtszüge waren angespannt. Seit Anfang der Katastrophe hatte sie fortwährend an Gewicht verloren, und ihr hübsches, herzförmiges Gesicht war eingefallen. Als ich mit dem Wagen in die Auffahrt fuhr, rief sie aus: »Mein Gott«, und schlug die Hand vor den Mund.
Mit einem dicken schwarzen Filzstift war etwas an unsere Hauswand geschrieben worden:
MÖRDER
WIR HASSEN DICH
FAHR ZUR HÖLLE
Die Buchstaben waren groß, klotzig und abgesetzt. Wer immer das geschrieben hatte, war nicht ein Eile gewesen. Unsere Hausfassade war mit Holzschindeln verkleidet, und die Ränder der Schindeln waren beim Schreiben etwas hinderlich gewesen. Während unserer Abwesenheit hatte man am helllichten Tag die Buchstaben in aller Ruhe dort aufgemalt. Sie waren noch nicht da gewesen, als wir am Morgen das Haus verlassen hatten. Da bin ich sicher.
Ich blickte die Straße in beide Richtungen hinunter. Die Gehsteige waren menschenleer. Etwas weiter unten hatte ein Gärtnerbetrieb seinen Lieferwagen geparkt. Man hörte den Lärm der Rasenmäher und Laubsauger. Nachbarn waren keine zu sehen. Es war überhaupt niemand zu sehen. Nur gepflegte Rasenflächen, Rhododendren mit ihren lila und rosa Blüten und eine Reihe alter Ahornbäume, die am Straßenrand Schatten spendeten.
Laurie sprang aus dem Auto und rannte ins Haus. Jacob und ich blieben zurück und starrten auf die Aufschrift.
»Lass dich von ihnen nicht fertigmachen, Jake. Die versuchen nur, dir Angst einzujagen.«
»Ich weiß.«
»Das ist nur irgendein Idiot. Ein Idiot reicht. Das sind nicht alle. Nicht alle sehen das so.«
»Doch.«
»Nein, nicht alle.«
»Doch, natürlich. Aber das ist schon in Ordnung, Dad. Mir macht das nichts aus.«
Ich drehte mich zu ihm um. »Wirklich? Das macht dir nichts aus?«
»Nein.« Er saß da, mit verschränkten Armen, zusammengekniffenen Augen und schmalen Lippen.
»Du würdest es mir sagen, wenn das so wäre, oder?«
»Glaub schon.«
»Es ist völlig in Ordnung, sich … angegriffen zu fühlen. Das weißt du, oder?«
Er runzelte verächtlich die Stirn und schüttelte den Kopf. Wie ein Kaiser, der ein Gnadengesuch verweigert. Mir kann niemand etwas anhaben.
»Sag mal, Jake, was fühlst du in diesem Augenblick?«
»Gar nichts.«
»Gar nichts? Das ist unmöglich.«
»Das war irgend so ein Arschloch, wie du eben gesagt hast. Irgendein Idiot.
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