Verschwiegen: Thriller (German Edition)
Es ist nicht so, als ob andere niemals schlecht über mich geredet hätten, Dad. Die sagen mir das ins Gesicht. Was, glaubst du, passiert in der Schule?« Er zeigte mit dem Kinn in Richtung auf das Graffiti an der Hauswand. »Das hier ist einfach nur eine andere Art und Weise.«
Ich betrachtete ihn für einen Augenblick. Außer seinen Augen, die von mir zum Beifahrerfenster wanderten, war er völlig regungslos. Ich streichelte sein Knie; es war schwer zu erreichen, und ich schaffte es gerade mal, mit meinen Fingerspitzen gegen seine harte Kniescheibe zu trommeln. Die Nacht zuvor hatte ich ihm einen falschen Rat gegeben, ging es mir jetzt durch den Kopf. Ich hatte ihm geraten, »hart« zu bleiben. In unterschiedlichen Varianten riet ich ihm die ganze Zeit, so zu sein wie ich. Doch jetzt sah ich, wie sehr er sich meine Worte zu Herzen genommen und sich wie ein junger Clint Eastwood eine harte Schale zugelegt hatte. Mir taten meine Worte leid. Ich wollte den anderen Jacob zurück, den ungelenken und seltsamen Typen. Aber dazu war es nun zu spät. Zugleich rührte mich sein Gehabe als harter Typ.
»Du bist ein Supertyp, Jake. Ich bin stolz auf dich. Wie du heute Morgen aufgetreten bist, und das jetzt hier. Du bist okay.«
Er schnaubte. »Ist schon okay, Dad.«
Drinnen traf ich Laurie vor dem Schrank unter der Küchenspüle an, wie sie auf allen vieren zwischen den Reinigungsmitteln wühlte. Sie trug immer noch ihren blauen Rock, den sie auch bei Gericht anhatte.
»Lass es, Laurie. Ich mach das schon. Du ruhst dich aus.«
»Und wann?«
»Wann immer du willst.«
»Du sagst immer, du kümmerst dich um etwas, und dann machst du doch nichts. Ich will das nicht an meinem Haus haben. Nicht eine Minute länger. Ich werde das nicht so stehen lassen.«
»Ich habe dir schon gesagt, ich erledige das. Bitte. Du ruhst dich aus.«
»Wie kann ich mich mit diesem Zeug da draußen ausruhen, Andy? Hast du gesehen, was da steht? Auf unserer Hauswand? An unserem Haus? Und ich soll mich ausruhen, Andy? Super. Das ist wirklich eine tolle Idee. Jemand kommt einfach hierher und schreibt was an unser Haus, und keiner sagt was, keiner rührt einen Finger, kein einziger von unseren verdammten Nachbarn.« Sie sprach das Schimpfwort überdeutlich aus, wie Leute, die selten fluchen. »Wir sollten die Polizei rufen. Das ist doch strafbar, oder nicht? Das ist strafbar, ich weiß es. Das ist Vandalismus. Sollen wir die Polizei rufen?«
»Nein, wir werden die Polizei nicht rufen.«
»Nein, natürlich nicht.«
Sie hatte ein Reinigungsmittel gefunden, schnappte sich ein Geschirrtuch und machte es unter dem Hahn nass.
»Laurie, bitte, lass mich das machen. Lass mich wenigstens helfen.«
»Hörst du jetzt endlich auf? Ich hab gesagt, ich erledige das.«
Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und marschierte auf ihren Nylonstrümpfen hinaus. Dort begann sie zu schrubben und zu schrubben.
Ich ging ebenfalls hinaus, aber ich konnte nichts anderes tun, als ihr zuzusehen.
Ihr Haar schwang im Rhythmus ihrer energischen Armbewegungen. Sie hatte feuchte Augen, und ihr Gesicht war gerötet.
»Kann ich helfen, Laurie?«
»Nein, ich mach das.«
Irgendwann gab ich es auf und ging wieder ins Haus zurück. Ich hörte sie noch lange Zeit draußen die Hauswand schrubben. Sie schaffte es, die Worte wegzuwischen, aber die schwarze Farbe hinterließ einen hellgrauen Fleck auf der Wand. Er ist immer noch dort.
Zehntes Kapitel
Leoparden
Jonathans Kanzlei war ein kleines Labyrinth unordentlicher Räume in einem viktorianischen Gebäude in der Nähe des Harvard Square. Er führte seine Kanzlei praktisch alleine, hatte aber eine Partnerin, eine junge Frau namens Ellen Curtice, die gerade ihr Studium in Suffolk abgeschlossen hatte. Doch setzte er sie nur an Tagen ein, an denen er nicht selbst vor Gericht erscheinen konnte (dann war er normalerweise bei einem anderen Gerichtstermin), und für einfache juristische Recherchen. Es schien klar, dass Ellen, wenn sie so weit war, ihre eigene Kanzlei eröffnen würde. Ihre Präsenz im Büro hatte etwas Befremdliches an sich. Meist beobachtete sie schweigend mit ihren dunklen Augen die Mandanten, all die Mörder, Vergewaltiger, Diebe, Kinderschänder und Steuerhinterzieher und deren Angehörige, die sich die Klinke in die Hand gaben. Sie strahlte den Radikalismus einer Collegeschülerin und die Aura des Underdogs aus. Vermutlich war ihre Meinung von Jacob negativ – ein Teenager aus einem reichen Vorort, der alle
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