Verschwiegen: Thriller (German Edition)
So haben wir das gesehen. Natürlich war ich entsetzt, wenn Kinder verletzt wurden, aber was sollte ich tun? Was konnten wir tun?«
»Und was haben Sie getan, Laurie? Haben Sie irgendwann Hilfe gesucht?«
»Wir, Andy und ich, haben stundenlang darüber geredet. Und Andy hat mir immer wieder gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen. Ich fragte den Kinderarzt, und der sagte mir genau das Gleiche: Machen Sie sich keine Sorgen. Jake ist noch sehr klein, das geht vorbei. Ich kam mir vor, als ob ich den Verstand verloren hätte und eine von diesen überfürsorglichen Müttern wäre, die immer mit Pflastern herumrennen und sich über Allergien den Kopf zerbrechen. Und Andy und der Kinderarzt meinten beide, das würde vorbeigehen.«
»Und es ist vorbeigegangen. Du hast völlig überreagiert. Der Kinderarzt hatte recht.«
»Ach ja? Liebling, sieh dich doch mal um, wo sitzen wir denn hier? Du willst dich nicht damit auseinandersetzen.«
»Womit?«
»Damit, dass Jacob vielleicht Hilfe braucht. Vielleicht ist das alles unser Fehler, und wir hätten etwas tun sollen.«
»Wie bitte? Sonst noch was?«
Sie senkte den Kopf, gab jede Hoffnung auf. Die Bilder aus Jacobs frühen Kindertagen verfolgten sie, eine Haifischflosse, die gerade wieder im Wasser verschwand. Es war der reine Wahnsinn.
»Laurie, was willst du damit andeuten? Wir reden hier von unserem Sohn.«
»Ich will gar nichts andeuten, Andy. Mach keinen Wettbewerb in Loyalität daraus – oder einen Streit. Ich frage mich nur, was wir damals wirklich unternommen haben. Ich weiß nicht, was richtig gewesen wäre und was wir hätten tun sollen. Vielleicht hätte Jake ärztliche Hilfe gebraucht oder Beratung. Ich habe keine Ahnung. Ich denke einfach nur, dass wir Fehler gemacht haben. Das kann nicht anders sein. Wir haben uns so viel Mühe gegeben und waren voller guter Absichten. Wir haben das hier nicht verdient. Wir waren zwei anständige und verantwortungsvolle Leute. Weißt du noch? Wir wollten alles richtig machen. Wir waren auch nicht mehr jung. Wir hatten uns Zeit gelassen. Fast zu viel. Ich war schon sechsunddreißig, als Jacob auf die Welt kam. Wir waren nicht reich, aber wir arbeiteten beide hart und hatten ausreichend Geld, um dem Kind alles zu geben, was es brauchte. Wir haben alles richtig gemacht, aber jetzt sitzen wir hier. Das ist nicht fair.« Sie schüttelte den Kopf und flüsterte: »Das ist einfach nicht fair.«
Lauries Hand ruhte neben mir auf der Armlehne ihres Sessels. Vielleicht sollte ich meine Hand auf die ihre legen, um sie zu beruhigen, überlegte ich. Aber während ich noch darüber nachdachte, hatte sie ihre Hand bereits weggezogen und ihre Arme über ihrem Bauch verschränkt.
»Wenn ich uns so damals anschaue, dann sehe ich jetzt, dass wir völlig unvorbereitet waren. Ich meine, das ist doch niemand, oder? Wir waren noch Kinder. Nicht im eigentlichen Sinne, aber wir waren noch Kinder. Wir hatten keine Ahnung und hatten eine Heidenangst. Wie alle jungen Eltern. Und vielleicht haben wir Fehler gemacht, ich weiß es nicht.«
»Was für Fehler, Laurie? Wirklich! Du übertreibst! So schlimm war es doch nicht. Jacob war ein bisschen rau und wild. Aber was soll’s! Er war ein kleiner Junge. Manche Kinder haben sich wehgetan, weil das im Alter von vier Jahren nun mal so ist. Sie laufen irgendwie rum, und ihre Köpfe nehmen drei Viertel ihres Körpergewichts ein, und dann fallen sie eben hin und verletzen sich. Sie fallen von Spielgerüsten oder von Fahrrädern. Das kommt eben vor. Sie bewegen sich wie Betrunkene. Der Kinderarzt hatte jedenfalls recht: Bei Jacob hat sich das Ganze ausgewachsen. Das hat alles aufgehört, als er größer wurde. Du machst dir einen Kopf, Laurie, aber du musst dir keine Vorwürfe machen. Wir haben nichts falsch gemacht.«
»Das hast du immer gesagt. Du wolltest dir nie eingestehen, dass irgendetwas nicht in Ordnung sein könnte. Oder vielleicht hast du es auch wirklich nicht gesehen. Ich mach dir keine Vorwürfe, es war nicht dein Fehler. Das ist mir klar geworden. Ich verstehe jetzt, womit du dich dein Leben lang herumgeschlagen hast.«
»Nein, das hat damit nichts zu tun.«
»Es muss dir auf der Seele gelegen haben, Andy.«
»Das stimmt nicht, das hat es niemals, wirklich nicht.«
»Meinetwegen, wenn du meinst. Aber du solltest die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass du Jacob gegenüber nicht objektiv bist. Auf dich ist kein Verlass. Das muss Frau Dr. Vogel wissen.«
»Auf mich ist kein
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