Verschwiegen: Thriller (German Edition)
Vorgehen nicht entschlossen genug war. Er verfolgte zu sehr die Strategie des Verteidigers, der zufrieden ist, wenn die Staatsanwaltschaft schuften muss, er beim Kreuzverhör punkten kann und Logiudices Anklage einige Löcher bekommt. Ja, es gab Beweise dafür, dass Jacob der Täter war, aber das reichte nicht, würde er den Geschworenen entgegenhalten. Ich zog den Angriff vor, immer. Um fair zu bleiben, war das eine falsche Auslegung von Jonathans Worten und wurde ihm nicht gerecht. Doch ich wusste, und Jonathan sicher auch, dass es immer geschickter war, der Jury eine Alternative zu präsentieren. Wenn es nicht Jacob war, wer dann?, würden die Geschworenen erfahren wollen. Wir mussten ihnen eine Story auftischen, um diese Frage zu beantworten. Wir Menschen hören mehr auf Geschichten als auf so abstrakte Konzepte wie »Beweislast« oder »Freispruch aus Mangel an Beweisen«. Wir suchen instinktiv nach Verhaltensmustern, nach Erklärungen und Geschichten, das war schon so, als wir noch Höhlenwände bemalten. Patz war unsere Story. Das klingt nach Kalkül und Unaufrichtigkeit, ich weiß, so als ob das Ganze nur eine Sache von Taktieren vor Gericht wäre. Lassen Sie mich also hinzufügen, dass in diesem Fall die Geschichte der Wahrheit entsprach: Patz war der Täter. Ich wusste das. Es ging nur noch darum, die Geschworenen von dieser Wahrheit zu überzeugen. Das war alles, was ich in Bezug auf Patz wollte: die Beweiskette darlegen, ganz ohne Winkelzüge, wie ich das immer getan hatte. Ich hätte mir zu viel vorgenommen, werden Sie sagen, ich würde mich in ein allzu gutes Licht rücken. Ich erkenne heute den Mangel an Logik: Patz war es, weil Jacob es nicht war. Aber damals sah ich das nicht. Ich war der Vater des Jungen. Und ich hatte mit meinem Verdacht gegenüber Patz recht.
Zwölftes Kapitel
Geständnisse
Es war Jonathans Idee, einen Psychiater ins Spiel zu bringen. Eine Routinesache, erzählte er uns, es gehe um eine Feststellung der Verhandlungsfähigkeit und der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Doch bei einer kleinen Google-Recherche stellte sich heraus, dass die Psychiaterin seiner Wahl eine Kapazität auf dem Gebiet der genetischen Vererbung von Verhaltensmustern war. Uns gegenüber hatte er behauptet, die Vorstellung von einem Mördergen sei absurd, doch Jonathan bereitete sich für alle Fälle schon einmal auf das Thema vor. Ich war überzeugt, dass man es Logiudice nicht gestatten würde, vor der Jury damit zu argumentieren, egal, wie wissenschaftlich belegt das sein mochte. Das Konzept war blanker Blödsinn, eine aalglatte, wissenschaftlich aufgemotzte Version eines uralten juristischen Kniffs: nämlich, was Anwälte die »Beweiskraft von Neigungen« nennen. Der Angeklagte neigt zu einem bestimmten Verhalten, und deshalb hat er etwas Bestimmtes wieder getan, selbst wenn es die Staatsanwaltschaft nicht belegen kann. Und das geht so: Der Angeklagte ist ein Bankräuber; dann wird eine Bank überfallen – und jeder weiß sofort, wer es war. Es ist ein Mittel der Anklage, die Jury mit einem Augenzwinkern zu überzeugen und einen Angeklagten in die Enge zu treiben, obwohl man keine Beweise hat. Kein Richter dieser Welt würde Logiudice das erlauben. Außerdem war die Forschung zu genetisch determiniertem Verhalten einfach noch nicht weit genug, um vor Gericht zugelassen zu werden. Es war ein neues Forschungsgebiet, und das Gesetz hinkt absichtlich der Wissenschaft hinterher. Die Justiz kann es sich nicht leisten, Fehler zu machen, weil man neueste Forschungserkenntnisse einsetzt, die sich in der Folge als nicht haltbar herausstellen. Ich hatte kein Problem damit, dass Jonathan sich auf die Existenz eines Mördergens vorbereitete. Gute Vorbereitung auf ein Verfahren bedeutet immer, dass man es übertreibt. Jonathan musste auf alles vorbereitet sein, selbst wenn die Chance, dass der Richter das Mördergen als Beweis zulassen würde, ganz gering war. Mich störte, dass er mir seine Strategie nicht darlegte. Er traute mir nicht über den Weg. Ich hatte mir eingebildet, dass wir als Team arbeiten würden, wir beide, zwei Anwälte und ehemalige Kollegen. Doch für Jonathan war ich nur ein Mandant, und noch dazu ein verrückter, unzuverlässiger, einer, den man in die Irre führen musste.
Unsere Sitzungen mit der Psychiaterin fanden auf dem Campus des McLean Hospital statt, einem psychiatrischen Krankenhaus, an dem Dr. Elizabeth Vogel arbeitete. Wir saßen in einem schlichten Raum ohne Bücher, und außer
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