Verschwörung beim Heurigen
Armee in Ungarn verhaftet |259| und in einem Schauprozess zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war, zusammen mit dem Kardinal Mindszenty. Beiden wurden
Devisenvergehen zusammen mit der Katholischen Kirche zur Last gelegt, ein Vorwurf, den der Anwalt, sonst den Kommunisten gegenüber
ablehnend, durchaus für möglich hielt. Fürst Pauls Landbesitz in Ungarn war sowieso enteignet worden. Dann, in den Wirren
des Aufstandes von 1956, sei der kranke Fürst, dessen Familie sich vier Jahrhunderte lang bedingungslos in den Dienst Österreichs
gestellt habe, in einem Rot-Kreuz-Wagen über die Grenze nach Österreich geschafft worden.
»Bis heute geht hier im Burgenland ohne die Esterházys, heute eine Stiftung, leider überhaupt nichts. Wir haben sie bei einer
anderen Sache als Gegner. Wer zu lange an der Macht partizipiert, missdeutet oft die Zeichen der Zeit. Aber wer tritt gern
freiwillig ab?« Zu konkreteren Äußerungen war Wollknecht nicht zu bewegen.
Zurück im Büro arbeitete Johanna ohne Pause weiter, bis der Anwalt sie gegen fünf Uhr mit dem Satz aufschreckte, dass es Zeit
für ihren Ausflug nach Gols sei.
»Thomas Thurn ist ein Shootingstar, ein Winzer der neuen Generation, absolut virtuos. Er verbindet neue Methoden im Weinbau
mit modernem Marketing und avantgardistischer Architektur sowie Kunst.«
Johanna, der die Präpotenz des Anwalts lästig wurde, und die sich über seine abfällige Äußerung über Hansi geärgert hatte,
wurde provokant, »Genie und Wahnsinn«.
Der Anwalt beschränkte sich auf ein gekränktes »Sie werden es sehen«, und wechselte das Thema. »Wollen Sie Hansi abholen oder
soll ich es tun?«
Sie wollte Wollknecht nicht die Chance geben, Hansi vor ihr zu informieren, denn was die beiden miteinander auskungelten,
war ihr nicht geheuer. Waren sich die beiden nicht besonders grün, oder hatte der Anwalt ihr gegenüber diesen |260| Eindruck erwecken wollen? Vielleicht stellte er auch nur ihre Loyalität gegenüber Hansi auf die Probe? Vermintes Gebiet, Ausland,
nicht dass es ihr so erginge wie Carl. Jetzt stand sie genauso allein da wie er.
Eine knappe Stunde später erreichte sie Purbach, wo sie Hansi im Auto warten ließ, während sie sich rasch umzog und sich zurechtmachte.
Sie freute sich auf ihn, wollte ihm gefallen, wollte nach dem Winzerbesuch, eigentlich Zeitverschwendung, mit ihm Essen gehen
und danach vielleicht in seine Wohnung nach Eisenstadt, der Wohnwagen war ihr zuwider. Zum Hafen müsste sie ihn auf jeden
Fall bringen, denn er hatte sein Auto dort stehen lassen. Was Carl davon hielt, wenn sie ausblieb, sollte ihr völlig egal
sein (war es zu ihrem heimlichen Ärger aber nicht). Nur so würde er begreifen, dass es aus war.
Hansi, der ihr den Arm um die Schultern gelegt hatte, dirigierte sie durch die endlos lange und mit Touristen verstopfte Hauptstraße
von Neusiedl und weiter nach Gols. Dieser Teil des Burgenlandes war ihr bisher entgangen. Dann sah sie vor sich das Gebäude,
das sie von Maria Sandhofers Homepage kannte. Als fertiggestellte Kellerei gefiel ihr das umgestülpte Weinfass noch weniger
als das Walgerippe auf dem Bildschirm. Albern, gewollt und zu teuer für den Zweck, dachte sie, Aufmerksamkeit konnte man billiger
kriegen. Der Anwalt wartete bereits auf dem Parkplatz. Für Johannas Geschmack begrüßte er sie etwas zu herzlich, als er beim
Küsschen auf die Wangen mit der Hand ihren Rücken streichelte. Was nahm er sich heraus, hielt er sich für unwiderstehlich?
Als Hansi abgelenkt war, steckte er ihr eine CD zu. »Alles über unser gemeinsames Projekt«, raunte er, »Surfen und Siegen?«
Der Eingang unter dem doppelten T, dem Markenzeichen dieses Thomas Thurn, war für sie beängstigend, Johanna zog den Kopf ein.
Dass sich das Doppel-T auf den Etiketten der Flaschen wiederfand, wie Hansi bewundernd bemerkte, war |261| ihr egal, sie wollte möglichst schnell ans Licht und stürmte über die Holztreppe mitten in einen kreisrunden Saal. Oben erwartete
sie der Winzer bereits.
»Aus der Erde kommt der Wein und führt uns in die Höhe, gnädige Frau, von der Dunkelheit ins Licht«, schwadronierte er und
erinnerte Johanna an Wollknecht. Sie waren vom selben Schlag, diese Art Männer kannte sie, normalerweise standen sie in der
zweiten Reihe, es waren nicht die, mit denen sie sonst zu tun hatte.
»Aus der einsamen Tiefe mitten hinein ins Leben, in die Gemeinschaft der Genießer.« Weit ausholend
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