Verschwörung beim Heurigen
Carl an ihr gefallen? Sie sah gut aus, sympathisch, das musste Johanna ihr lassen, so sehr sie sich dagegen
wehrte, und sie erschien ihr so nachdenklich wie lebenslustig. War es das? Die Lebenslust? Die war ihr beim Kampf ums Wattenmeer
vergangen, bei der Auseinandersetzung um alternative Energien abhanden gekommen, die unbedarfte Freude hatte sie mit dem Waldsterben
eingebüßt und den Glauben an die Menschen endgültig verloren, als viele ihrer ehemaligen Weggefährten sich von den Grünen
als Abgeordnete hatten einkaufen lassen. Der ehemalige Außenminister war für sie der weltweit größte Opportunist überhaupt:
vom Frankfurter Häuserkampf zum Gala-Dinner ins Weiße Haus! Was für ein bewunderungswürdiger Weg. Charakter oder Berechnung,
oder beides zusammen? Johanna ärgerte sich über solche Gedanken. Sie musste mehr arbeiten, mehr surfen, mehr mit Hansi ... Es war nie gut, zu lange vor dem Spiegel zu stehen.
Bis zum Schloss waren es wenige Schritte. Im Restaurant gegenüber, den ehemaligen Stallungen, trafen sich die Geschäftswelt
aus Eisenstadt und die Touristen der Premium-Klasse, die ein Hirschragout mit einem Blaufränkischen dem |255| Tafelspitz mit Pils vorzogen. Die aus der Fußgängerzone der Hauptstraße, die mit dem Big Mac und der Cola, waren bereits vor
dem Schloss abgebogen. Zog sie die Blicke der Gäste an, oder war es der Anwalt, den sicher viele kannten? Von der Terrasse
grüßten drei Herren, die Krawatte gelöst, das blaue Oberhemd offen, das Sakko über die Lehne gehängt, dort nickte jovial ein
einsamer, grau melierter Herr, an einem anderen Tisch machte man sich gegenseitig auf das Paar aufmerksam. Johanna und der
Anwalt traten zwischen wuchtigen Säulen ins dunkle Gebäude und wandten sich nach links. Der Saal mit Tischen und spanischen
Wänden war kühl und angenehm im Vergleich zur Hitze draußen. Da winkte jemand aus einer Gruppe, Johanna kannte diesen Typus
Ministerialbeamter. Eine Damengruppe scharte sich um einen langen Tisch und erfüllte den Raum mit hellen Stimmen. Viel Schmuck,
Glitzerkram, jene Frauen, um die ihr Kollege Beinhäuser sich kümmerte, wenn Geschäftspartner ihre Ehegesponse mit nach Stuttgart
brachten. Die Herren in der dunkelsten Ecke, beim Essen Schriftstücke auf dem Tisch, fühlten sich durch den Gruß des Anwalts
eher gestört. Er ließ sich zum reservierten Platz führen und schob Johanna höflich den Stuhl unter. »Gnädige Frau«. Das musste
sie sich nach jedem dritten Satz anhören.
Wollknecht redete ohne Pause. Dabei war es gleichgültig, ob er Johannas Weingeschmack eruierte, ihr zum Hirschrücken den Tesoro
von 2004 vorschlug, » ... wohl der beste Wein des Hauses Esterházy, eine Assemblage aus Merlot, Cabernet Sauvignon und Pinot Noir. Wundervolles
Rubingranat, reichhaltige und reife Aromenstruktur, Johannisbeere und Vanille ... gepaart mit Mokka-Nuancen. Am Gaumen voluminös«, er rollte mit den Augen. Demnach ein Kenner. Johanna nickte bewundernd.
Wenn er das nötig hatte.
Als Nächstes empfahl er ihr das Weinmuseum im Weinkeller unter dem Schloss; er würde es ihr liebend gern persönlich zeigen.
»Ein Gewölbe, tausend Quadratmeter, 700 Objekte, |256| die unsere Weinbaugeschichte präsentieren. Das müssen Sie sehen.«
Was sie »musste«, war glücklicherweise noch immer ihre Sache. Johanna hatten sich an diesem Vormittag ganz andere Fragen eröffnet.
Auf die Antworten war sie gespannt, aber sie kam nicht zu Wort. Als sie den Anwalt schließlich energisch unterbrach und auf
den Bankenskandal zu sprechen kam, wich er aus: Man müsse abwarten, alles genau prüfen, die Hintergründe betrachten, sich
nicht von Interessengruppen beirren lassen, vor allem die Politik raushalten, jetzt stünde der Verkauf an, und er schwenkte
zu einem Skandal weit größeren Ausmaßes ab: die gewerkschaftseigene BAWAG, Bank für Arbeit und Wirtschaft, die 1,3 Milliarden Euro bei Spekulationsgeschäften in der Karibik verjubelt hatte.
»Der Staat haftet mit 900 Millionen, die Banken liefern eine Kapitalspritze von 450 Millionen. Das sind Größenordnungen.« Die Augen des Anwalts leuchteten, seine Begeisterung konnte er kaum verbergen. Da hätte
er sicher gern mitgespielt. Korruption, Geldanlage und -wäsche gehörten jedoch nicht zu Johannas Fachgebiet. Zu viel Aufmerksamkeit
brachte ihre Projekte in Gefahr, und sie war immer darauf bedacht, wenn man sich schon in Grauzonen bewegte, in
Weitere Kostenlose Bücher