Verschwoerung der Frauen
zusammen. Ich erinnere mich, daß wir in Dorindas Zimmer saßen, als ihre Mutter, die im Radio ein Konzert der Philharmoniker gehört hatte, hereinkam und uns erzählte, daß das Konzert für die Nachricht unterbrochen worden sei. Alle Erwachsenen, die ich damals kannte, hörten, sofern sie sonntags zu Hause waren, die Philharmoniker: meine Mutter, meine Tanten, die Eltern unserer Schulfreundinnen.
Eigenartig, aber diese Konzerte schienen der einzig angemessene Rahmen für die Nachricht, daß wir uns im Krieg befanden. Dorinda, ihre Kusine Nellie und ich arrangierten uns mit dem Krieg in Amerika. Wir waren glücklich, daß Nellie der Katastrophe in Europa ent-24
ronnen war. Ich hörte von anderen Entkommenen: Sie erschienen als Gäste in den vornehmen Häusern, in denen meine Mutter arbeitete, und waren anders als Nellie, nämlich unwillkommen und wurden mit unverhohlener Hochnäsigkeit und Geringschätzung betrachtet.
»Warum kritisieren sie alles hier?« fragte ich meine Mutter.
»Warum sind sie nicht dankbar? Warum reden sie dauernd davon, wieviel besser alles in Deutschland war? Wenn es so schön war, warum sind sie nicht dort geblieben?«
Damals wußte ich nicht, wie dumm meine Frage war und wie viele Leute die gleiche törichte Frage stellten. Welcher Flüchtling denkt nicht sehnsüchtig an zu Hause? Ich fürchte, ich haßte diese Leute, weil sie Juden waren. Ich, das Kind armer Leute, gestattete mir die klägliche Genugtuung, Juden zu hassen. Jüdisch zu sein war für Dorinda und ihre Familie, die mit den Guggenheims und War-burgs befreundet war, eine völlig andere Angelegenheit. Die Goddards und ihre Freunde waren vornehm wie die Anglikaner und kaum als Juden zu erkennen. Außerdem war Dorindas Mutter Chris-tin und nahm uns oft zum Mitternachtsgottesdienst in ihre evangeli-sche Kirche mit. Mit der lächerlichen Entschuldigung, meine besten Freunde seien Juden, verzieh ich mir meinen Antisemitismus. Meine Mutter bestärkte mich in diesem bequemen und, wie mir später klar wurde, allzu üblichen Umgang mit dieser Frage. Sie sagte, ehrbaren Leuten würde niemand etwas anhaben. Sie meinte damit wohl: reiche Leute. Jahre später, als ich Paule Marshalls Buch ›Brown Girl, Brownstones‹ las, in dem sie davon spricht, wie ihre Mutter »jüdische Böden« gescheuert habe, schämte ich mich für meine Einstel-lung, die bei mir weniger verzeihlich war als bei Paule Marshall – sie war schwarz und hat Dorinda und ihre Familie nicht gekannt.
Der größte Schriftsteller seiner Zeit hieß Foxx. Emmanuel Foxx.
Als Dorinda mich mit der Nachricht überraschte, daß seine Enkelin kommen würde, erinnerte ich mich nicht, je von ihm gehört zu haben. Beim Tode meiner Mutter fand ich später eine Erstausgabe seines berühmtesten Romans in ihrem Bücherschrank. Sie hatte das Kaufdatum hineingeschrieben, möglich also, daß sie ihn mir gegen-
über doch schon einmal erwähnt hatte. Wie viele sogenannte Meis-terwerke wurde Foxx’ Roman zwar wahrscheinlich von Literatur-wissenschaftlern leidenschaftlich gelesen, von jenem Leserkreis aber, der einfach ein Buch nach dem anderen verschlingt, nur flüchtig überflogen oder ganz ignoriert. Anders als Virginia Woolf, aber ähnlich wie James Joyce oder Marcel Proust, sorgte er also eher 25
unter Akademikern als unter der allgemeinen Leserschaft für Auf-ruhr. Vielleicht stand er Proust näher als Joyce, gehörte aber zusammen mit diesen beiden und T. S. Eliot (das weiß ich heute) zur Avantgarde der klassischen Moderne, so wie sie in Literaturseminaren und einschlägigen Büchern und Artikeln verstanden wird. Anders als bei Joyce oder Proust war seine Hauptfigur jedoch eine Frau. Mit einer Intensität, Detailfülle und sprachlichen Experimentierfreudig-keit, die an Originalität und Erfindungsreichtum ihresgleichen suchte, hatte Foxx ein Jahr im Leben einer Frau beschrieben, war mit verbissener Hartnäckigkeit und verblüffendem Einfühlungsvermögen all ihren Gedanken und Leidenschaften gefolgt. Hier wurde aus der Sicht einer Frau geschildert, die dabei durch die Augen eines Mannes gesehen wurde. Das gab so manchem Gelehrten einiges zu knab-bern.
All dies begriff ich natürlich erst viel später. Während wir 1941
auf Nellie Foxx’ Ankunft warteten, wußte ich nur, daß ihr Großvater ein berühmtes und irgendwie obszönes Buch geschrieben hatte. Daß es überhaupt veröffentlicht werden konnte, war dem Kampf einiger aufgeklärter Geister – darunter Dorindas Vater –
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